Es ist der Bruch einer langen Tradition. Ich habe es nicht geschafft, meine persönliche Jahresabschluss-CD zusammenzustellen mit meinen Liedern des Jahres. Sie hätte „Autofahrer unterwegs 12“ geheißen und wäre nebenbei das Geschenk an einen besten Freund gewesen, der diese Auffrischung seines Musikgeschmacks dringend nötig hat, weil er diese CD immer auch als jährlichen Imagetransfer sieht. Ich werde die CD vielleicht noch machen. Sie wird dann wie üblich ein Cover bekommen, in dem sich mein lieber Freund wiederfindet. Und sie wird dann so zwischen 12 und 15 Lieder enthalten.
Aber fangen wir vorne an: Das Pop-Jahr 2006 war mein erstes volles Jahr mit Ipod, weil – ich gebe es ja zu – ich in dieser Sache ein Spätzünder war. Dem Album als Kunstform verfallen. Unbedingt was angreifen müssen. Liner Notes lesen. Die Dankesworte an Menschen mit komischen Spitznamen auch … Das alles kann kein Ipod. Und ich kann heute ohne meinen Ipod nicht mehr leben. Er macht meine U-Bahn-Fahrten zum Kino. Er tröstet mich nach einem anstrengenden Tag auf der Heimfahrt. Er beflügelt mich, wenn ich einen langen Tag beginne. Er ist die beste Erfindung seit überhaupt.
Ich benutze meinen Ipod, das hat dieses Jahr gezeigt, nicht sonderlich innovativ. CD in den Computer rein, importieren, übertragen, fertig. Ich höre ganze Alben auf meinem Ipod, keine einzelnen Songs. Und ich verzichte deshalb auf das haptische Erlebnis einer LP oder CD, weil es ohne möglich ist, immer alles dabei zu haben.
So viel zu meinen Hörgewohnheiten. Das Zweitschönste am Ipod ist auch, dass er mir verrät, welche Songs mir heuer besondere Freude bereitet haben – und welche Platten übers Jahr hinweg oben geblieben sind, denn ich miste regelmäßig aus. Was dann wiederum zur virtuellen Ausgabe von „Autofahrer unterwegs 12“ führt, die ich nun versuche. Denn es waren folgende Songs, die mich heuer besonders beeindruckt haben. Sie reichen für keine ehrbare Compilation, aber sie sind ein Anfang:

  • Red Hot Chili Peppers/Hard To Concentrate. Der beste U-Bahn-Song, den ich kenne. Spärlich instrumentiert, unglaublicher Druck, schöner Text. Und Dank an meine Frau, dass sie mir die Ohren dafür geöffnet hat.
  • The Kooks/Naive: Blutjunge Briten, die – wie so viele – schon bald vergessen sein werden. Aber: Wunderschön ungestümes Liedchen.
  • Yeah Yeah Yeahs/Way Out: Der Beweis, dass Rockmusik die Welt retten könnte, wenn man es nur zuließe. Und der Song packt trotz des wohl enttäuschendsten Konzerts des Jahres in der Arena noch immer zu.
  • Eagles Of Death Metal/Cherry Cola. Bauerntölpel-Rockmusik mit schwulem Subtext. Großartig – und danke Josh Homme für sowieso alles, was du aufnimmst.
  • DJ Shadow/This Time: Es gibt eine Zukunft für die DJ-Produzenten-Heinis, die vor vielen Jahren mal Stars für eine Nacht waren. Dieser Mann aus San Francisco gehört dazu. Es ist keine Überraschung, aber immer wieder eine Freude zu hören, wie sehr er im Herzen ein Soul Man ist.
  • Justine Electra/Fancy Robots: Eine Dame aus Berlin, die aber von irgendwo aus Übersee stammt (glaube ich), die mich seit dem ersten Hören an Wendy & Lisa erinnert, die ich vor vielen, vielen Jahren unglaublich schätzte – und jetzt auch wieder auf meinem Ipod habe.
  • OutKast/PJ & Rooster: Ein Lied vom Meisterwerk „Idlewild“, das einen Nachteil hat. Es riecht so sehr nach Prince (weniger in den Strukturen, denn im großkotzigen Zugang, alles zu können und zu dürfen), dass es OutKast ein ähnliches Schicksal wie ihm bescheren könnte: durch ständige Neuerfindung irrelvant zu werden.
  • The Roots/Game Theory: Gehörte ein ganzes Roots-Album in einen Song komprimiert, dann ist es hiermit vollbracht. Soul, Raps von der Straße, Politik, Blackness, und dieser verdammt präzise Drummer dazu …
  • The Raconteurs/ Steady As She Goes: Erstens ist Jack White schon wirklich genial. Und zweitens hat’s der Blues Rock schon tatsächlich verdient, ein bisschen reanimiert zu werden.

So. Was mir hier auf den ersten Blick fehlt, obwohl es drauf sein müsste, ist natürlich ein Song von Tom Waits’ aktueller Großtat „Orphans“. Es ist einfach zu schwierig, daraus einen Song zu wählen, denn die Platte ist zu frisch und zu wenig gehört, dass sie mir schon meine Lieblinge enthüllt hätte. Und was noch fehlt ist Gnarls Barkleys „Crazy.“ Und das, obwohl es das Lied des Jahres ist. Genial produziert. Ein Killer-Ohrwurm. So was von jetzt und überall. Doch er – also der, für den ich diese Compilation hier im Geiste zusammen stelle – hat das sicher mal auf Ö3 gehört. Und ich will ihm seine fragile Coolness nicht mit einem Lied ruinieren, das er aus seinem Reich des Bösen kennt. Warum die Welt kompliziert gestalten, wenn sie auch einfach sein kann. Schaue ich doch lieber, was das Pop-Jahr 2007 bringt.