Das hätte ich mir wohl am wenigsten gedacht: Dass ich erstens einmal hauptberuflich über Britney Spears nachdenken werde, und dass ich zweitens nebenberuflich nicht mehr damit aufhören kann. Aber der Reihe nach: Frau Spears ist mir persönlich nicht wichtig. Ihre Musik ist Plastik, ihre Person bar jeder ernstzunehmenden Erotik, ihre Popstar-Rolle was für kleine Kinder. Dann kamen diese Fotos von ihrer öffentlichen Kopfrasur, dann die mit ihrer blonden Perücke, wo sie aussieht wie das Fake-Wesen JT LeRoy, dann die aus der Entzugsklinik, und nebenbei immer die Kommentare dazu. „Eine Frau am Ende.“ „Britney durchgeknallt.“ „Was ist los mit Britney?“ Die ganze Palette des Celebrity-Journalismus’, womit das Erstens der Einleitung erklärt wäre.

Das Zweitens setzt bei der Assoziation mit JT LeRoy an. Zur Erinnerung: JT LeRoy war Anfang der Nullerjahre ein literarisches Phänomen. „Sarah“ hieß der Roman und erzählte vom Leben des ehemaligen HIV-positiven Strichers JT LeRoy, der sich nur mit Sonnenbrille und blonder Perücke unter die Leute begab. Es ging um ein Leben voll sexuellem Missbrauch und Drogen und um einen, der durchs Schreiben da heraus gekommen war, JT eben. Doch vor zwei Jahren stellte sich dann heraus, dass diese Geschichte nicht so authentisch war, wie sie daher kam, denn JT war eine literarische Erfindung der Autorin Laura Albert. Und der JT LeRoy mit Perücke, der durch die coolen Magazine geisterte, war eigentlich die Halbschwester ihres damaligen Freundes – eine schnell ersonnene Notlösung, weil die Öffentlichkeit nach dem Gesicht zum tragischen Transsexuellen aus dem Buch verlangt hatte.
Jetzt sieht Britney Spears auf ein paar Fotos aus wie JT: Blonde Perücke, große Sonnenbrille, und gesund wirkt sie auch nicht. Sie hat damit der Öffentlichkeit jene Britney gegeben, auf die diese schon seit Monaten wartet. Denn Musik und Tanz bestimmen schon lange nicht mehr ihr Leben. Der Teenager-Star für junge Mädchen und alte Herren mit Vorliebe für junge Mädchen ist heute 25 und hat eigentlich nichts besonderes geleistet für die Aufmerksamkeit, die ihr geschenkt wird: einen Deppen heiraten, von diesem zwei Kinder kriegen, beim Autofahren Gesetze brechen, am Abend was trinken, davon besoffen sein, manchmal hässlich aussehen. Sie lebte ein Leben, das ihr zwar viel Geld kostete, aber trotzdem nach Unterschicht aussah. Sie lebte ein Leben wie die meisten ihrer früheren Fans.
Wir wissen von diesem Leben. Wir kennen Bilder davon. Wir haben Videos davon gesehen. Britney Spears ist – und das nicht erst seit ihrer öffentlichen Kopfschur – eine der am meisten abgebildeten Figuren einer neuen Medienwelt. Ein Star, dessen Ruhm sich nur damit erklären lässt, dass sich Starruhm in den vergangenen Jahren grundlegend gewandelt haben muss. Galt früher einmal, dass Prominenz allein zu wenig ist, sondern Stars nur dann leben können, wenn sie auch aus nachvollziehbaren Gründen verehrt, begehrt und bewundert werden, reicht heute Britney Spears. Oder Paris Hilton. Oder Lindsay Lohan. Oder sonstwer.
Britney Spears, um bei ihr zu bleiben, kann wenig, sieht krank aus und bedient als öffentliche Figur nur niedere Instinkte. Trotzdem gilt sie als Star. Und das Schöne an diesem Prinzip der Star-Erhebung ist: Wenn sie beim Googeln als einer gilt, wird sie schon auch einer sein.
Der Grund für diesen Paradigmenwechsel liegt im Medium, das sie derzeit vorrangig abbildet. Das Internet und alle damit verschränkten Technologien sind heute Tummelplatz für Klatsch und Tratsch aller Art. Wenn Britney Spears schlecht gekleidet in einem Nachtclub säuft, sind das Nachrichten von Newswert – aufgenommen mit Handykamera, ins Netz gestellt als grob gepixeltes Filmchen, tausendfach verlinkt und kopiert im WorldWideWeb.
Früher einmal strahlten Stars von weit weg, unerreichbar, eine ewige Projektionsfläche für persönliche Sehnsüchte. Dann holten Paparazzi die Stars näher ran, hoben Speckfalten und schiefe Zähne in die Blätter – und alle Parteien lernten damit (und die Schönheitschirurgie davon) zu leben. Heute sind neben Paparazzi auch Kinder und Teenager am Werk, die neue Technologien so locker einsetzen wie ihre Eltern gerade noch die Fernbedienung ihres Fernsehers. Sie sorgen dafür, dass die ehemaligen Platzhirschen der Celebrity-Trash-Berichterstattung von Bild bis Sun, von People bis Bunte bei Gossip-Blogs wie TMZ.com oder perezhilton.com abschreiben müssen, um schnell genug zu sein.
Auf letzteren Plattformen hat Britney Spears auch ihren Platz gefunden und von dort aus den Mainstream der Celebrity-Berichterstattung erobert. Sie war – auch wenn sie es persönlich wohl anders sieht – zur richtigen Zeit das richtige Objekt. So wie Paris Hilton, nur leider weniger talentiert darin, die neuen Medien für sich zu nutzen. Beide und viele andere haben geholfen, den Star-Begriff an die neuen Medien anzupassen. Das ist zwar keine persönliche Leistung, aber eine mit nachhaltiger Wirkung.
Ach ja, die JT LeRoy-Assoziation habe ich noch immer nicht aufgeklärt. Als ich Britney Spears so sah, dachte ich ernsthaft, die Rasur und die nachfolgende Verkleidung seien Teil eines großen Masterplans. Ich wünschte mir, da hätte jemand aus ihrem Umfeld das subversive Potenzial der Gossip-Blogs erkannt und für ihre Zwecke instrumentalisiert. Angeblich soll ja eine neue Platte kommen – und was wäre das für eine Geschichte, dafür diese TMZ.com-Optik zu klauen, fürs erste Video vielleicht? Da wären die Voyeure mit ihren eigenen Waffen geschlagen. Da stünde eine spannendere Geschichte dahinter als die vom kaputten White Trash-Mädchen. Nur leider kamen dann die Fotos aus der Nobel-Entzugsklinik in Malibu. Die zeigten, dass da jemand wirklich Probleme hat und doch nur als wissenschaftliches Studienobjekt zur Celebrity-Kultur anno 2007 übrig bleiben wird. Schade? Nein, egal.