monocle

Annahme eins: Printmedien, heißt es immer wieder, sind so gut wie tot. Zu langsam, wenn sie wie Tageszeitungen in Konkurrenz zum Internet aktuelles Geschehen abbilden wollen– und dabei doch immer nur die News von gestern nachbeten, die eh schon jeder aus dem Netz kennt. Zu aufgerieben zwischen redaktionellen Interessen und denen der Anzeigenkunden, wenn sie wie Magazine am Spagat zwischen Journalismus und Schaffung des Umfelds für Inseratenkunden scheitern. Zu unglaubwürdig, wenn sie plötzlich nichts mehr kosten und gratis unters Volk gebracht werden.
Annahme zwei: Printmedien werden in Hinkunft (Fürsprecher dieser Annahme erwarten dies innerhalb eines Zeithorizonts von 15, 20 Jahren) nur mehr Nischen besetzen können. Als große Erklärer abseits des Aktuellen. Als opulente Schmuckstücke für den Couchtisch, auf schwerem Papier gedruckt, edel und teuer. Als Hybride zwischen Kunst und Kommerz. Oder als Postwurfsendung.
Und dann passiert das: Die Hamburger Wochenzeitung Die Zeit – thematisch breit, größtformatig, behäbig, großväterlich erklärend und hemmungslos einem Deutungsjournalismus alter Schule unterworfen – ist wieder einmal ein kommerziell erfolgreiches Wunderkind wider die Stagnation der Printmedien in Deutschland. Zitieren wir dafür am besten aus der APA-Meldung von vor einigen Tagen: „Die Erlöse seien 2006 um 6,0 Prozent auf 110 Mio. Euro gestiegen, teilte der Verlag am Donnerstag in Hamburg mit. Der Gewinn wurde um 14 Prozent auf 12 Mio. Euro erhöht. Stärkste Säule des Geschäfts ist die Wochenzeitung „Die Zeit“, deren Umsatz um 7,5 Prozent zulegte.“
Also: Ein wöchentlich erscheinendes Qualitätsblatt steht hemmungslos zu journalistischen Tugenden und ist dabei ökonomisch erfolgreich (zugegeben auch mit Nebengeschäften wie Buch- und DVD-Editionen, aber immer schön nach dem Hauptblatt gebrandet). Was ist da passiert?
Nun gar nichts, außer dem erfreulichen Beweis, dass die anfangs formulierten Annahmen zwar jedem Web 2.0-Vorredner da draußen gut zu Gesicht stehen, der Investoren sucht, mit der Realität aber noch nichts zu tun haben. Sicher ist das Printgeschäft – und vor allem der Magazinbereich – recht mühselig. Absurd kleine Veränderungen bei Umsätzen und Verkäufen sind da oft gleichbedeutend mit der Einstellung eines Titels. Erschreckend auch die Macht der Kaufleute über die Blattmacher, weil eine Redaktion nur mehr als lästiger Kostenfaktor für die weißen Flächen zwischen den Anzeigen gilt.
Und trotzdem immer wieder neu sind die Gegenbeispiele: Brand eins, das deutsche Wirtschaftsmagazin für Menschen, die nie Wirtschaftsmagazine lesen würden, zum Beispiel. Oder Neon für all jene, die tatsächlich davon ausgehen, dass 25 ein tolles Alter ist – und das scheinen nicht wenige zu sein. Oder ganz frisch: Tyler Brûlés Monocle. Der kanadische Schöngeist, der in den 90er-Jahren die stilbildende Zeitschrift Wallpaper* als cooles Magazin für Nichtleser ersann (und dann gleich auch wieder teuer verkaufte), denkt nun plötzlich an gedruckte Inhalte.
Das Resultat: Monocle ist das schönste Magazin seit vielen Jahren, eine Messlatte für Art-Direktoren. Das hat zwei Gründe: Erstens, weil es einfach so aussieht und dies auch bei sperrigen Themen wie dem Vergleich zweier Business Class-Innovationen im Flugverkehr schafft. Und zweitens, weil es gute Inhalte ohne jeden Anspruch publikumsorientierter Breite druckt. Es verzichtet auf Prominenz bei den Protagonisten. Es verzichtet auf angesagte Themen. Es pickt sich aus jedem seiner Elemente – egal ob nun Wirtschaft, Politik oder Kultur – die jeweils interessanteste Geschichte, die der Redaktion in London einfällt. Der Rest ist eine Frage der Mischung, schöner Fotoproduktionen, richtiger Anzeigen.
Und auch Monocle ist ein Spagat: Das Heft will natürlich ein Statement sein, ein Accessoire für Vielflieger, Gutverdiener oder andere Wichtigtuer. Und es will trotzdem relevant sein wie der Spiegel oder der Economist. Ob es gelingen wird, in jeder Ausgabe nicht mit der Form die Inhalte zu verschütten, wird die Zukunft zeigen.
Und um genau diesen Begriff geht es hier: die Zukunft, die auch gedruckt sein wird. Denn was zu den Antipoden Zeit und Monocle noch zu sagen ist: Beide pflegen natürlich auch einen spannenden Web-Auftritt, der sich vom Print-Vehikel deutlich unterscheidet. Beide wollen auch dort Geld verdienen. Und beide wissen, dass beides dem jeweils anderen keine Konkurrenz macht, sondern es bestenfalls ergänzt. Womit wir beim Riepl’schen Gesetz wären, das irgendwann in den nächtens Jahren hundert wird. Es ist eine Theorie aus der Medienforschung, die eigentlich nicht viel sagt, aber das dafür seit Jahrzehnten nie widerlegt: kein neues, höher entwickeltes Medium kann ein altes vollständig verdrängen. Es verändert nur dessen Funktion.