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Engländer können wahnsinnig gemein sein – und wahnsinnig charmant. Das liegt zu einem nicht zu vernachlässigenden Teil an ihrer Sprache, die in sehr wenigen Worten viele Nuancen in der Bedeutung zulässt. Ein bisschen verändern und schon wir aus dem Kompliment eine Beleidigung oder umgekehrt. Nun verwenden Engländer hin und wieder den Begriff „ageing disgracefully“ – eine Konstruktion, die sich ins Deutsche als „entwürdigend altern“ übertragen lässt. Das klingt so hässlich wie alte Männer aussehen, die im Porsche sitzen und dabei das blutjunge Mädchen auf dem Beifahrersitz anspeicheln. Oder wabbelige alte Damen im Stringtanga am Strand. Oder … wurscht, jeder hat schon oft gesehen, wenn Mitmenschen in Unwürde altern.
Nur wird das „ageing disgracefully“ im Englischen gerade ein klein wenig ins Positive umgedeutet. War es früher etwa en vogue, alternde Rockstars wie Mick Jagger als Witzfiguren anzutun, die nicht bemerkt hatten, dass jugendliches Arschgewackle auf einer Konzertbühne eher Menschen unter 30 vorbehalten sein sollte und nicht maroden Rockern über 55, ist das „ageing disgracefully“, das man ihnen damit unterstellt, heute nicht mehr zwingend negativ gemeint.
Das hat wohl mit einer Verschiebung der Lebensrealität zu tun, dem permanenten Dasein in der Popkultur, das einem gestattet, die Jugend durch Konsum der richtigen Güter über deren biologisches Ende hinaus zu dehnen. Ist ja nichts leichter, sich auch jenseits der 35, 40 oder 45 jugendlich anzuziehen, sich jugendlich zu geben, jugendliche Musik zu hören. Vor allem: Man kennt ja – anders als unsere Eltern – nichts anders, als für genau solche Dinge Geld auszugeben. Und es hat wohl damit zu tun, dass die westlichen Gesellschaften zwar jung bleiben wollen, aber gleichzeitig zusehends altern. Der einzige Ausweg aus diesem Dilemma ist, das Alter positiv zu besetzen, gefühlte Jugend an alten Menschen nicht zu verlachen und damit das „ageing disgracefully“ ins Positive umzukehren.

 

Nun wird morgen, am 21. April, nicht nur meine Frau ein Jahr älter (was mit dem Inhalt dieser Geschichte bitteschön gar nichts zu tun hat), sondern ein Herr namens James Newell Osterberg, der somit seinen 60er feiert. Osterberg ist der Welt eher unter dem Namen Iggy Pop bekannt. Er war (und ist wieder) der Frontman einer stilprägenden Band namens The Stooges. Mit dieser Truppe war er in den ausklingenden Sixties ein einsamer Gegenpol zur Hippie-Glückseligkeit, weil die Stooges mit ihrer Musik das Publikum nicht zum freien Tanzen ermutigen wollten, sondern ihnen das verträumte Gehopse brutal verdarben. Bei Stooges-Konzerten damals, so heißt es, waren die Leute vor der Bühne nicht die besten Freunde, die es zu umarmen galt, sondern die größten Feinde. Also bekämpften sie die wilden Burschen von den Stooges, allen voran Iggy mit seinem Drang sich öffentlich Wunden zuzufügen und danach seinen Schmerz hinaus zu jaulen. Search And Destroy. Rockmusik wie ein Tritt in den Arsch. No Fun. Punk, bevor es Punk gab. I Wanna Be Your Dog. Mythenbildung.

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Die Stooges zerstritten sich natürlich, denn wer sich selbst der größte Zerstörer ist, kann nicht beieinander bleiben. Iggy wurde Solokünstler, die ehemaligen Kollegen werkten in anderen Konstellationen mal mehr oder weniger lose miteinander weiter, eine Band wurde Pop-Geschichte und in den Jahren danach immer wieder gerne zitiert.
2002 dann bat Iggy die Stooges-Gründungsmitglieder Ron (Gitarre) und Scott Asheton (Drums) ins Studio, spielte mit den ergrauten Herren ein paar Songs für sein Album „Skull Ring“ und ging dann – es war danach keine richtige Überraschung mehr – mit Mike Watt am Bass unter dem Namen The Stooges auf Tournee. Es war das, was immer gerne belächelt wird: eine Reunion. Alte Herren tun so wie früher. Ging schon bei den Sex Pistols schief, kann auch hier nur schief gehen.
Aber wie gesagt: ageing disgracefully. Die Stooges scherten sich keinen Deut um Würde, und auch wenn Iggy oft eher marod denn vital herumhüpfte, bot er damit doch keine Feierstunde der Lächerlichkeit, sondern eine Feierstunde der Unvernunft. Und diesen Zugang zu ihrem Dasein als alte Menschen haben die Stooges vor ein paar Wochen auf ihrem aktuellen Album „The Weirdness“ perfektioniert.

Produziert hat Steve Albini, es klingt, als hätte er einfach für nichts Geld kassiert und statt dessen Demos auf CD gepresst – und das ist natürlich Absicht. Denn alles andere wäre vernünftig gewesen. So vernünftig wie das Hemd mit 60 nicht mehr ausziehen. So vernünftig wie nicht mehr Rocker sein wollen. So vernünftig, wie es früher gefordert worden wäre, als alte Rockstars mit junger Musik noch als Witzfiguren galten.
Und allen voran: natürlich Iggy. Der kann es immer noch besser als all die anderen Jungspunde seiner Zunft.