Ein paar persönliche Erinnerungen, die ich schon vor Monaten in eine kleine „Queens Of The Stone Age“-Geschichte verpackt habe, haben vor ein paar Tagen zum Email eines werten Lesers aus Deutschland geführt. Dessen Inhalt tut hier bis auf ein zentrales Thema nichts zur Sache: Der Leser, der sich als Musik-Besessener herausstellte, war via Google an meine in diesen Post eingearbeiteten Erinnerungen an ein Treffen mit Josh Homme geraten, hatte den Blog nach weiteren derartigen Anekdoten überflogen und dann den Eindruck gewonnen, dass ich mich offensichtlich aus dem Reigen der bezahlten Reisen zu Rock- und Popstars verabschiedet hatte. Ob ich das denn nicht vermisse, fragte er dann. Diese Nähe zu den Idolen, diese Chancen, in anderen Ländern Konzerte zu hören, um die einen dann daheim jeder beneidet?
Nein, ich vermisse es nicht, schrieb ich zurück. Weil es wahrlich spannendere Dinge gibt. Weil man das erst erkennt, wenn man es erlebt hat. Und weil ich das gerade deshalb sagen könne, da mich sein Email bewogen hatte, ein paar der Highlights dieser Ausflüge noch einmal aus dem Gedächtnis hervor zu graben. Hier also alles zum Mythos des coolen Hundes, mit den Stars auf du, ständig im Flieger.
So ein Job führt einen zum Beispiel für eine ganze Woche nach Los Angeles, wie geschehen im Februar 2003 – und quasi einer der seltenen Jackpots. Warum eine ganze Woche? Ein paar Tage warten zwischen zwei Terminen ist billiger als dazwischen heimfliegen. Die Woche leitete daher ein Treffen mit Marilyn Manson ein, der damals gerade als Intellektueller galt, weil er in Michael Moores Dokumentation „Bowling For Columbine“ einer der wenigen Interviewpartner war, die bei Sinnen wirkten.
Das war er dann auch während meiner Interviewrunde. Ein Kollege von einem Metal-Magazin aus Mexiko brachte kein Wort raus, weil ihn der Anblick seines Gottes erstarren ließ. Der Rest der Runde verlor sich in Details zum Rauswurf des Bassisten Twiggy Ramirez. Und ich versuchte zwei oder drei halbwegs originelle Fragen anzubringen, von denen ihn eine sogar richtig interessierte. Ich weiß nicht mehr welche, aber dafür weiß ich noch, dass Marilyn Manson einen Schnupfen hatte, dass es im Konferenzraum des Argyle-Hotels arktisch kalt war, dass beim Hinausgehen in der Lobby plötzlich der HipHop-Produzent Dr. Dre neben mir stand – und dass ich natürlich so tat, als würde ich ihn nicht ansehen, um nur ja nicht als promigeil zu gelten.
Die Woche in Los Angeles endete dann mit einer Videokonferenz mit Fred Durst von Limp Bizkit im hochgejazzten Universal-Hauptquartier. Eigentlich hätte Durst ja persönlich antanzen sollen, aber damals galt er gerade als Heilsbringer seiner Branche und war auch Präsident der Universal-Sublabels Interscope, also hatte jeder Verständnis dafür, dass er sich in einem New Yorker Studio seinen neuen Liedern widmete – allein: das später erscheinende Album „Results May Vary“ bewies, dass das nichts gebracht hatte, denn es war großer Mist.
Zwischen diesen beiden Terminen: Müßiggang in Los Angeles. Alles anschauen, was man aus Film und Fernsehen kennt. Was einkaufen, das es zu Hause nicht so schnell gibt. Vom Getty Museum beeindruckt sein. Am Pazifikstrand einen Hamburger essen. In einem guten Hotel wohnen. Und dazwischen noch zwei andere Bands treffen müssen: Puddle Of Mudd bedüselt (und heute gottlob vergessen) und ein aus Geschwistern bestehendes Duo, die – glaube ich – irgendwas mit „Cat“ im Bandnamen hatten, aber eher mit „K“ geschrieben, wenn ich mich recht erinnere.
Alles in allem also eine gute Woche, der sich in eine kritischen Rückblick dann am besten eine der größten Strafen entgegen setzen lässt, die einen ereilen kann: Mariah Carey in Berlin, eigentlich befindet man sich im Urlaub, schuldet der zuständigen Plattenfirma aber einen Gefallen, weshalb man auch darüber hinweg sieht, dass in zwei Tagen die Hochzeit ansteht.
In der Früh hin und am Nachmittag mit dem Taxi in das exklusive Schlosshotel im Grunewald. Es geht ums Album „Glitter“, für das sie damals kolportierte 20 Millionen Dollar exklusive Umsatzbeteiligungen von Virgin Music bekam. Ein paar Tage später wird sie sich blöderweise aus den groß angelegten Promotion-Terminen ausklinken, weil sie sich einen veritablen Nervenzusammenbruch gönnt. Das Album wird ein Flop, und auch, wenn es danach heißt der Veröffentlichungstermin direkt nach dem 11. September 2001 wäre Schuld gewesen – irgendwie zeichnet sich das schon an diesem Tag in Grunewald ab, beim Gruppeninterview („Have you ever been to Poland?“ Laaaanage Nachdenkpause, ehe sie haucht: „Oh, no …“ – wieder großartig drauf, diese brillant vorbereiteten Kollegen).
Die Frau Carey jedenfalls sitzt elfenbeinfarben auf der Couch, spielt auf einer mitgebrachten Soundmachine (Leitfarbe: rosa) irgendwelche HipHop-Songs und flüstert Stumpfsinn. Es ist ihr letztes Interview an diesem Tag und wenig später werden auf dem engen Parkplatz vor dem Hotel drei Limousinen umständlich hintereinander einparken, damit Mariah Carey in einem anderen Kleid als zuvor in die mittlere davon einsteigen kann.
Stichwort Kleider: Das bringt einen recht schnell zur Musikreise-Sonderform Preisverleihung, wo die Abendkleider der anwesenden Damen recht schnell zum Leitthema werden können, wenn der Rest der Sause stinklangweilig ist. So geschehen in Cannes bei den NRJ Music Awards, wohin mich im Jänner 2002 eine Einladung der Wiener Dependance des Radiosenders führte. Highlight des Abends war, dass ein Kollege es schaffte, mit seiner Digicam ein Foto von Geri Halliwells linker Brust zu schießen – wir fanden beide, dass ihr Kleid das geradezu provoziere. Des Kollegen Plan, das Bild für eine Zillion Euro an das bestbietende britische Boulevardblatt zu verkaufen, ist dann allerdings doch nicht aufgegangen. Der Rest der Show war jedenfalls skurril: Man durfte sie als Journalist nämlich nur im so genannten „Press Room“ mitverfolgen.
Der war irgendwo in den Tiefen der Halle, es gab kein Klo und die Übertragungsmonitore fielen dauernd aus. Bezeiten wurden noch Stars aus dem Programm für 30-sekündige Interviews heran gekarrt, um dann „really happy“ über ihre Anwesenheit sein zu dürfen. Erschwerend noch, dass in Frankreich eine Quotenregelung in Rundfunk und Fernsehen für viele französische Popstars sorgt, die im Rest der Welt keiner kennt. Darum folgte im Presseraum auch sehr oft auf das fordernde „Any Questions for Moniseur unbekannt?“ der PR-Damen lediglich kollektives Zum-Boden-Starren. Glamourös, nicht?
Wobei zur Ehrenrettung der Award-Show an sich die MTV European Music Awards in Barcelona beitragen müssen. Im November 2002 waren die. Drei Tage, super Wetter, ausgewogen zusammen gestellte Reisegruppe. Es gab vorab den Eminem-Film „8 Mile“ zu sehen und der Rapper war irgendwie auch das Leit-Thema dieser Tage. Nicht, dass er Interviews gegeben hätte, aber irgendwie redete jeder über ihn. Und er hatte soeben seine eigene Plattenfirma gegründet, dessen erstes Schäfchen namens 50 Cent es zu treffen galt. Den kannte damals keine Sau, es gab nichts vorab zu hören, es musste improvisiert werden. Das war aber kein Problem, denn 50 Cent erwies sich als dermaßen im Nebel der Rauschmittel versunken, dass er bereitwilllig seine Ansichten zu Waffenbesitz und Diamanten kund tat – frei zitiert etwa so: „Wenn wir jemand meine Kette wegnehmen will, ist es doch gut, wenn ich eine Pistole trage, um den Dieb daran zu hindern, oder?“
Es war lustig – und ich war so blöd, das Band irgendwann zu löschen. Ein paar Monate später war 50 Cent dann berühmt. Die MTV-Show am selben Abend war dann fein anzusehen, die Ordner standen mit Zigarette im Mund vor „Rauchen verboten“-Schildern, die von der einladenden Plattenfirma ausgerichtete Party danach war in einem Club in einem Industrieviertel, wo im Morgengrauen keine Taxis mehr verkehrten und wo das Bier zehn Euro kostete. Eminem spielte, Marilyn Manson kam auf die Bühne, wirklich toll. Und das beste daran: Der Kollege, mit dem ich damals 50 Cent traf, sitzt seit vier Wochen im Büro gleich hinter mir. Er hat sein Tonband übrigens auch zu früh gelöscht.
2006 war es dann vorbei mit den von den Plattenfirmen bezahlten Ausflügen. Sie waren über die Jahre ohnehin weniger geworden. Das Magazin, in dem ich meine Texte unterbrachte, war in der öffentlichen Wahrnehmung einfach zu weit nach unten gerutscht, als dass es sich gelohnt hätte, jemanden von dort zu den großen Stars zu schicken. Im Mai hatte dann allerdings die größte Plattenfirma der Welt erkannt, dass Gitarrenpop-Geschraddel aus Großbritannien irgendwie sehr angesagt ist, und ein paar Flugzeugladungen Kontinentaleuropäer in die Stadt geladen, um zum Thema ihre vier heißesten Truppen im Stall zu präsentieren: untertags Interviews, abends Konzert. Ich finde die Band am besten, aus der in der Folge nichts wird (The Feeling) und mir gehen die am meisten auf die Nerven, die heute eine große Nummer sind (Razorlight).
Bei solchen Fehlprognosen war es wohl höchste Zeit, diesen Zirkus nicht mehr aktiv mitzumachen.