Green Day: Auch hinter dem Zaun schaut die Welt nicht besser aus. Lasst uns doch ein Lied darüber schreiben. Foto: Promo

Green Day: Auch hinter dem Zaun sieht Amerika nicht besser aus. Lasst uns doch ein Lied darüber schreiben.

Lange Zeit war es leicht, diese Band als Deppen-Trio abzutun. Das neue Album zerstört dieses Vorurteil: Green Day sind nur halb so blöd wie sie aussehen. Und sie schreiben nicht nur Hits, sondern auch gute Songs.

 Das war nicht immer so. 1994 wurden sie berühmt, mit ihrem bereits dritten Album „Dookie“, das sich 10 Millionen Mal verkaufte. Dazu gab es den Hit „When I Come Around“, in dessen dazugehörigem Video der Sänger Billy Joe Armstrong breitbeinig vorm Mikrofon stand und mit schräg gelegtem Kopf blöde Grimassen schnitt. Wer das nur oft genug im Musikfernsehen sah, Gelegenheit dazu gab es genug, konnte einen gesunden Hass darauf entwickeln – und ein Vorurteil, das sich in den kommenden Jahren mit weiteren ähnlich gearteten Werken leicht pflegen ließ. Noch dazu galten die Buben als Protagonisten eines Punk-Revivals, und das war doppelt blöd. Punk als Haltung war nie gestorben. Und Rockmusik mit maximal drei Akkorden reicht nicht für Haltung. Ein Dilemma.
Trotzdem hätte zehn Jahre später schon „American Idiot“ eine erste gute Überraschung werden können. Zumindest wurde mir von mehreren Seiten angeraten, diese Platte von 2004 doch endlich als das wahrzunehmen, was sie ist: ein großer Wurf einer großen Band. 15 Millionen Käufer können sich irren, dachte ich, und verzichtete auf Green Day. Billy Joe Armstrong stand schließlich trotz aller Ambitionen noch immer breitbeinig vorm Mikrofon und grinste blöd unter seinen Kajal-Augen hervor.

Heute ist „American Idiot“ allerdings als gewichtiges Zeitdokument. Es ist das Werk einer uramerikanischen Band, die am Amerika ihrer Zeit leidet. George Bush, hat irgendwer einmal gesagt (ich würde ihn gerne zitieren, habe aber die Quelle vergessen), war das beste, was Green Day passieren konnte. Ihre Geschichten vom Loser, der unfreiwillig zum Rebellen aufstieg, weil er seine Heimat nicht mehr ertrug, hatten den Zeitgeist getroffen.
Und diese Geschichten greift das Trio nun auf „21st Century Breakdown“ wieder auf. Es ist – wie um die Punk-Analogien der früheren Jahre endgültig zu verhöhnen – ein Konzeptalbum geworden. Pfuigack Bedeutungsschwangerschaft auf allen 18 Stücken, die lose miteinander verknüpft sind. Aufs erste Hören fällt das nicht auf, aufs zweite auch nicht. Aber wer sich dann den theoretischen Überbau der Platte angelesen hat – sie handelt von der Liebe zwischen der Träumerin Gloria und dem Revoluzzer Christian, die sich mit den Altlasten der Regierung George W. Bush herumschlagen – kriegt ihn auch mit.

Aber in Wahrheit ist „21st Century Breakdown“ vor allem eine Platte voller guter Rocksongs fürs Stadion, die am besten für sich stehen sollten: die erste Single „Know Your Enemy“ und das noch empfehlenswertere „East Jesus Nowhere“ zum Beispiel. Dank Green Days neuem Produzenten Butch Vig klingen sie auch sensationell und lassen trotz viel heiligen Lärms Raum für ein paar Referenzspielereien von den Beach Boys bis zu Led Zeppelin.
Nur manchmal ersticken die Texte ein bisschen an ihrer eigenen Wichtigkeit, ihrem Heischen nach zeitgenössischer Relevanz. Aber so ist es wohl, wenn man jahrelang mit ignoranten Besserwissern zu tun hat, die einem seine Fähigkeiten nicht abnehmen. In diesem Sinne gebe ich zu: Ich bin bekehrt. Und Green Day sind eine famose Band.

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