Filesharing im Jahr 2014. Oder: Zwei Digital Natives im geschlossenen System. Foto: Screenshot

Knapp ein Jahr ist es her, dass der Digital Native Dank eines klugen und mit Verve verfassten Essays von Frank Schirrmacher zum Rollenmodell eines Demokraten mit Zukunft stilisiert wurde. Es war die richtige These zum richtigen Zeitpunkt. Wir hatten #unibrennt, wir hatten eine plötzlich positive Diskussion um die Generation 20-29, wir hatten Piraten in Schweden und wir hatten eben den Digital Native, der überall perfekt dazu passte.

Nach fast 12 Monaten muss ich trotzdem leider sagen: So sehr es auch mir gefallen hat, so sehr halte ich das Konzept vom Digital Native mittlerweile für falsch. Es ist von einer informierten Elite ersonnen worden, die sich damit nebenbei ein griffiges Lifestyle-Label verpassen konnte. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Sicher könnte man da vieles dagegen einwenden. Ich kenne zu wenig Menschen unter 25 und weiß daher auch zu wenig darüber, wie sie Medien benutzen. Und die, die ich kennenlerne, sind kein repräsentativer Ausschnitt, weil sie mir meistens bloß wegen meiner Lehrtätigkeit an der Universität Wien (Ich unterrichte am Institut für Publizistik ein bisschen journalistische Praxis) unterkommen. Aber gerade diese Erfahrung bestärkt mich in meiner These: Da hat keiner Lust darauf, Digital Native zu sein. Die wollen am liebsten Journalisten bei gedruckten Tageszeitungen sein, angestellt, mit solider Autorenzeile, die auch der Mama auffällt. Facebook ja, Youtube ja, aber RSS-Feed, Creative Commons und Hyperlinks – wozu brauchen wir das denn bitteschön?

So hat sich der Digital Native für mich wieder auf seine reale Größe zurecht gestutzt. Die Piratenpartei hat in Österreich beim Schreiben dieser Zeile 546 Mitglieder. Bei der Wiener Gemeindesratswahl wird sie nicht antreten, weil sie, wie ich dem heutigen Falter entnehme, nur 229 von den notwendigen 1800 Unterstützungserklärungen bekommen hat. Ich traue mich daher zu sagen, dass gerade einmal die paar hundert wirklich aktiven Twitteranten in Österreich als waschechte Digital Natives taugen. Diese Informationsjunkies sind eine Minderheit, die sich selbst als Elite gefällt – und als Teil dieser Elite wohl auch das Zeug hat, in einer wie auch immer gearteten Medienlandschaft von morgen mitzumischen. Aber das war‘s dann wohl. Dem großen Rest der Menschen, die sich täglich im Netz bewegen, ist es meistens egal, ob sie etwas als erste oder letzte entdecken.

Die Gründe dafür sind sicher zu vielfältig, um hier allesamt erarbeitet zu werden. Ich belassen es daher bei den mir augenscheinlichsten.

Das Internet und alle damit verbundenen Technologien haben mittlerweile ihren quasireligiösen Charakter längst verloren (Was wurde übrigens aus der Initiative, ihm den Friedensnobelpreis zu verleihen?). Das führt erstens zu weiteren programmatischen Aufsätzen wie dem von Schirrmacher vor einem Jahr (stellvertretend dafür: Chris Anderson und Michael Wolff in Wired: The Web Is Dead und der Text The future of the internet – A virtual counter-revolution im Economist). Und zweitens zur Erkenntnis, dass es mit der vermeintlichen Freiheit des Internet – einem der wichtigsten Postulate des Digital Native – nicht weit her ist.

Autoritäten – egal ob nationalstaatliche oder übernationale – wollen nämlich kein freies Internet. Sie wollen rechtlich verankerte Kontrollmechanismen, die sie auch exekutieren dürfen. Große Unternehmen, die im Internet ihr Geld verdienen, wollen keine freies Internet. Sie wollen ihre Märkte erschließen und für sich behalten – eine aus unternehmerischer Sicht logische Entwicklung, die durch den Hype um Tablets und Apps noch befeuert wird. Und auch Netzanbieter wollen kein freies Internet (genauer: keine Netzneutralität), weil ihnen die Vorstellung viel zu gut gefällt, dass sie Mehrzahlern auch mehr Speed geben – und Minderzahlern die Bandbreiten drosseln.

Dieser Entwicklung spielt auch in die Hände, dass wir alle vor allem simple und gute Produkte (etwa Apps für Smartphones und Tablets) wollen, für die wir dann bereitwillig auf Freiheiten verzichten. Womit wir bei dem wären, was dem Konzept des Digital Native tatsächlich den Todesstoß verpassen könnte: unser innerstes Bedürfnis, hemmungslos und blöd vor uns hinzukonsumieren. Der Nerd, gekillt vom inneren Schweinehund – darf das sein? Dieses Video der schwedischen Interface-Designer von tat, dem auch der Screenshot zur Illustration dieses Artikels entstammt, legt diesen Schluss jedenfalls sehr nahe.

Video: Ein normaler Tag im Jahr 2014