In katholisch geprägten Ländern leben wir dieser Tage in einer Phase des Verzichts. Nicht, dass das Fasten heute noch ein religiös motiviertes Breitenphänomen wäre, aber ein paar finden sich immer, die gerne mitmachen. Verzicht, so könnte man meinen, ist also in unserer Kultur durchaus verankert. Verzicht hat etwas Reinigendes. Verzicht macht gesund. Verzicht führt zu einem bewussteren Leben. Doch ehe ich mich hier in Richtung Esoterik und Selbstfindung verliere, stelle ich mich lieber der Realität unserer Gesellschaft.

In der Realität ist Verzicht nicht vorgesehen, sondern ein Systemfehler. Wer verzichtet, gibt weniger Geld aus. Und wer weniger Geld ausgibt, torpediert den zentralen Antriebsmechanismus des Kapitalismus: das Habenwollen. Es gibt immer bessere Autos und schönere Häuser. Und wenn andere sie kaufen können, wollen wir sie auch. Das treibt uns zur Arbeit, das treibt uns zum Konsum, das ist der Motor.

Einziger Nachteil: Die Lobby des Habenwollens bröckelt zusehends. Mit der letzten Finanzkrise kam dessen hässliche Schwester, die Gier, in Verruf. Und wenn die Erdöl fördernden Nationen im Nahen Osten von Unruhen ungewissen Ausgangs gebeutelt werden und gleichzeitig eine Naturkatastrophe in Japan die Verwundbarkeit von Atomkraftwerken vorführt, gerät gleich ein ganzer Lifestyle ins Wanken.

Muss Energie immer billig sein? Haben wir ein Recht auf billiges Erdöl? Sind die Risiken, die wir langfristig für günstigen Strom und Individualverkehr eingehen, am Ende nicht doch zu hoch? Oder sind das alles bloß Gedankenspiele einer selbstreflexiven Elite, die sich via Like-Button fürs Abschalten von AKWs einsetzt?

Es sind vor allem zentrale Fragen, die wir uns immer nur dann stellen, wenn die Verwundbarkeit unseres Lifestyle sichtbar wird. Doch es könnten Fragen daraus werden, die dieses Mal nicht mehr so schnell weggehen wie die havarierten Reaktoren in Fukushima mit Sand und Beton bedeckt sind – oder wie das Öl aus Libyen wieder fließt.

Letztlich werden sie uns ein Bekenntnis zum Verzicht abtrotzen. Verzicht auf Schnellfahren. Verzicht auf hell erleuchtete Straßenzüge um drei Uhr früh. Verzicht auf Billigflüge. Verzicht auf Städteurlaub. Verzicht auf Fernreisen. Verzicht auf sehr viel mehr, das uns heute als Selbstverständlichkeit gilt – und das wir bloß haben wollen, weil alle anderen es schließlich auch haben.

Es könnte auch schlimmer kommen, oder?

Dieser Text erscheint auch im Debattenportal The European.

Foto: Ines Saraiva, Lizenz: CC BY-ND 2.0