Fast eine Woche lang ist Osama bin Laden nun schon offiziell für tot erklärt. Die meisten finden gut, dass er weg ist. Vielen gefällt es nicht, dass er einfach so und ohne Prozess aus der Welt geschafft wurde. Und die Freude um sein Ende als Gottseibeiuns der westlichen Welt weicht immer mehr der Frage, was nach ihm kommt. Das Ende des Terrors? Eine neue Terror-Welle? Oder einfach gar nichts?

Vor allem zeigt sich, dass es wenig nutzt, Menschen zu töten, die schon längst als Untote durchs kollektive Bewusstsein geistern. Was heißt es da schon, dass er vom unbekannten Soldaten einer Spezialeinheit der US Navy am 2. Mai in Abbottabad, Paktistan erschossen wurde: Darum lassen sich höchstens ein paar Verschwörungstheorien  spinnen. Schließlich kam die Todesnachricht zum einem für Obama sehr günstigen Zeitpunkt, um Härte und Offensive zu beweisen. Schließlich klingt die Geschichte von der Seebestattung abstrus. Und schließlich sind Verschwörungstheorien immer besser als die Realität, vor allem, wenn es sich um vermeintliche und echte Tote mit ikonografischen Qualitäten handelt.

Paul McCartney zum Beispiel wurde von investigativ Überbegabten schon 1969 nachgewiesen, dass er zwei Jahre davor bei einem Autounfall ums Leben gekommen war und der Typ bei den Beatles bloß ein Doppelgänger wäre. Und als Elvis Presley 1977 offiziell aus dem Leben schied, tat er das auch nur, um irgendwo auf einer einsamen Insel weiter zu leben.

Wobei Elvis hier ein gutes Stichwort ist. Elvis lebt als Pop-Ikone ja tatsächlich noch. Es gibt sehr viele Menschen, die nicht nur aussehen wie Elvis, singen wie Elvis und sich bewegen wie Elvis – sie sind Elvis, weil sie es so wollen. Und sie halten ihn damit am Leben.

Osama Bin Laden war schon vor seinem offiziellen Tod ein Untoter wie Elvis. Er war Mythos und Abziehbild, eine Pop-Ikone. Unserer hedonistischen und am Diesseits orientierten Popkultur bleibt die dem Jenseits huldigende um bin Laden zwar immer fremd, doch leugnen lässt sie sich deshalb noch lange nicht. Es gibt tatsächlich Menschen, die ihre Erfüllung und Reinheit im Tod suchen. Es gibt Menschen, die durch Massenmord zu weiteren leuchtenden Untoten werden wollen. Und sie werden nicht so schnell aufhören nach diesem Ideal zu trachten, für das Osama bin Laden stand, nur weil er tot ist.

Aufgrund des Unverständnisses für diese Lebensanschauung sind uns auch die aktuellen Umbrüche im arabischen Raum so nahe. Wir verstehen sie, weil wir sie als Selbstreinigung einer Weltregion begreifen können, die bisher unter dem Generalverdacht stand, Selbstmordattentäter heranzuziehen. Wir verstehen sie, weil sie auch durch die Brille unserer Kultur betrachtet logisch erscheinen. Wir sehen hier revolutionäre Bewegungen, die mehr sind als Terror – und vor allem: Es sind nicht die Revolutionen, die Osama bin Laden gewollte hätte.

Was bleibt, ist die Frage, ob die in Gründung befindlichen Demokratien in Ägypten und Tunesien oder die revolutionären Bewegungen in Bahrain, Libyen, Syrien und Yemen eine attraktive Alternative zur wahhabitischen Auffassung des Islam bieten können, aus der sich Osama bin Ladens Religion des Terrors speist. Und vor allem: Ob diese potenziellen Demokratien es überhaupt nötig haben, sich als Alternative zu einer todessehnsüchtigen Subkultur zu positionieren.

Womit wir bei der Hoffnung wären, die sich an die untote Pop-Ikone Osama bin Laden knüpfen lässt: Sie ist anscheinend trotz maximaler Medienpräsenz nicht in den Mainstream vorgedrungen. Sie konnte zwar viele Menschen gewinnen, blieb aber letztlich ein One Hit Wonder der Nullerjahre. Das wird zwar seine schmerzhaften Revivals erleben, aber die inhaltliche Bedeutung der Ikone Osama bin Laden wird sich wandeln. Auch Che Guevara war einst eine Symbolfigur der militanten Linken – und irgendwann war er nur mehr ein T-Shirt-Aufdruck unter vielen.

Dieser Text erscheint in Kooperation mit dem Debattenportal The European.