St. Vincent: So schön Indie

Sicher, es gibt größere Enttäuschungen, und die von den Red Hot Chili Peppers ausgelöste möchte ich gar nicht mehr ausführlich beschreiben. Sie wurde von genug anderen schon hinreichend abgearbeitet, und seit ich kürzlich auf Facebook die vier Worte „Fad Hot Chili Peppers“ postete, weiß ich auch, warum ein uninteressantes Album der Red Hot Chili Peppers zu gar so viel Abgesang und Aufarbeitung anregt: Die vier Worte gefielen jenen Leuten, die leider schon alt genug sind, um von funky Konfektionsware made in California nicht mehr satt zu werden – und wir sind viele.

Die Neunziger, so lernten wir an „I’m With You“, sind pophistorisch besehen die Tränen nicht wert, die wir ihnen manchmal aus persönlichen Gründen nachweinen möchten. Und wer das nicht glaubt, der möge einfach dieses Album hören.

In Texas wirst du entweder George Bush – oder eigenwillig

Von der Enttäuschung zur Begeisterung sind es unter zeitgenössischen Musikdieben nur ein paar Mausklicks. Und wer kollektive Begeisterung suchte, kam dieser Tage am neuen Album von St. Vincent nicht vorbei. Es handelt sich hier um das Werk einer Dame von 28 Jahren, die in Wahrheit Annie Erin Clark heißt und aus Texas stammt. In Texas, das wissen Menschen, die in den frühen 90er-Jahren die Red Hot Chili Peppers verehrt haben, wirst du entweder J.R. Ewing, George Bush – oder ein wenig eigenwillig.

Clark entschied sich fürs Eigenwillige und es verschlug sie zur musizierenden Hippie-Sekte The Polyphonic Spree. Da sie aber auch sehr schön ist, wollte sie das irgendwann nicht mehr unter wallenden Gewändern verbergen und machte sich selbstständig.

So schön Indie!

Zugegeben, ich biege hier ein wenig die Geschichte zurecht, aber ich rasch wieder in die Gegenwart. In dieser gilt Annie Clark alias St. Vincent als attraktivste Frau der so genannten Indie-Szene und obendrein als sehr begabt. Das bedeutet, sie bemüht sich redlich, ihre Songs sperrig und unangepasst zu halten. Alles wohl Gründe dafür, dass mir ihr neues Album „Strange Mercy“ (Es läuft hier im Stream) von einem vertrauenswürdigen Bekannten als „Björk mit menschlichem Antlitz“ nahegelegt wurde.

Das mag wie eine Beleidgung klingen, ist aber nur eine schiefe Metapher von vielen, die in der Zunft der Musikbeschreiber tagtäglich gedrechselt werden. Vor allem aber verleitete sie mich dazu, „Strange Mercy“ von vorne bis hinten durchzuhören. Und um diese Sache zu Ende zu bringen: Miss Clark bzw. St. Vincent sorgt darauf vor allem für gut vierzig Minuten ganz vieler Ideen, ganz vieler Töne, ganz viel von allem, ganz wie überall beschrieben.

Ratlose Begeisterung verpufft schnell

Wenn es also so etwas wie den Zustand ratloser Begeisterung gibt, dann vermag ihn St. Vincent auszulösen. Und wenn es den Zustand gibt, dann hat dieser leider die Nebenwirkung, ganz schnell zu verpuffen.

Fazit: Eine Björk mit menschlichem Antlitz brauche ich genau so wenig Red Hot Chili Peppers, die schon 15 Jahre vor sich hin trocknen. Doch irgendwo zwischen diesen Gegensätzen wird dieser Popherbst schon den einen oder anderen großen Moment bringen. Dieser Text ist nämlich auch so etwas wie ein Mission Statement: Ab nun versuchen wir’s hier wieder jeden Freitag mit fundierter Pop-Kritik. Schönes Wochenende.