„Es liegt an den Hosen.” Könnte man sagen – und das ist im Rahmen einer ganze drei Tage dauernden Premiere in meinem Leben auch so geschehen. Ja, es sind die Röhrljeans, die die Rockmusik kaputt machen, getragen von blassen Briten oder Amerikanern, die mit sicherem Gespür jegliche Form des synkopierten Rhythmus aus ihrer Musik heraus halten. Könnte ja sonst abwechslungsreich klingen.
Diese Sicht der Dinge erregte natürlich Widerspruch (Die Dame trug Röhrljeans), war aber ja auch nur als Provokation gedacht. Selbstverständlich hat ein Hosenschnitt grundsätzlich nichts mit Musik zu tun, aber blöderweise ist in der Popmusik nichts grundsätzlich. Ganz im Gegenteil: Immer bestimmt auch das Bild, also das wörtlich übersetzte Image, die Bedeutung von Musik. Wie sich jemand kleidet, gehört da dazu – und damit auch, welche Hosen er trägt. Und Ende des Exkurses, denn wir sind hier ja nicht im Proseminar …
Also: Die vergangenen fünf Jahre lassen sich als jene festmachen, in denen der so genannte Indie Rock seinen endgültigen Sieg errungen hat – mit den Ohren des ambitionierten Pop-Hörers nachgehört wohlgemerkt. Dem Gros der Musikhörer sind solche Erkenntnisse eher wurscht, weil zum Beispiel bald ein neues Album mit Walgesängen von Celine Dion ansteht, und diese Dame davon mehr verkaufen wird als all die Indie-Buberl zusammen.
Indie Rock bedeutet wie schon angedeutet kurz zusammengefasst: Gitarrenlastige Popmusik mit wenig Melodie, wenig Signifikanz, wenig Spannungsbögen. Popmusik von Röhrljeansträgern wie den Dirty Pretty Things oder Interpol, um nur zwei von den zwei Millionen uniformen Stilikonen da draußen zu nennen. Oder Null-Funk-Musik, ein Begriff den ich mir hiermit von jemandem ausleihe, der die ganze Causa nicht nur von außen, sondern auch als Praktiker beurteilen kann.
Dieser Spielart der Popmusik hat sich nun auch der Musikkritiker des New Yorker gewidmet, seinen Text mit dem schönen Titel „A Paler Shade Of White“ versehen und darunter einen programmatischen Satz geschrieben: „How indie rock lost its soul“. Auch Sasha Frere-Jones, so heißt der Autor, moniert in seinem Essay die Langeweile, die ihn befällt, wenn er von Berufs wegen auf Konzerte gerade angesagter Indie-Bands à la Arcade Fire (blöderweise habe ich da nachgegoogelt und erkannt: Die tragen keine Röhrlhosen … verdammt) gehen muss.
Ihn beschleicht dabei immer der Verdacht, dass das Getue um die künstlerische Urgewalt dort oben auf der Bühne keine Entsprechung in der Musik selbst hat. „I’ve spent to many evenings at indie concerts waiting in vain for vigor, for rhythm, for a musical effect that could justify all the preciousness“, schreibt er. Und weiter: „How did rhythm come to be discounted in an art form that was born as a celebration of rhythm’s possibilities?“ Kurz zusammengefasst: Alle reden vom Revival des Rock’n’Roll – und dann fehlt ihm jene Essenz, die ihm nicht erst seit Elvis’ Hüftschwung innewohnt, nämlich das Fahrige, Unberechenbare? Soll das alles gewesen sein?
Der Nachteil dieser Erkenntnis liegt natürlich auch auf der Hand. Der Vorwurf, ein älter werdendes G’scheiterl erkläre hier wieder einmal nachwachsenden Generationen, dass früher mit Elvis, dem James Brown, dem Hendrix, den Clash oder den sonstwie Legendären alles besser gewesen sei, ist leicht aus dem Text destilliert.
Der Vorteil ist, dass er bei all dem Lamentieren eines vergisst: Irgendwann ist auch die Röhrljeans-Phase vorbei. Man erinnere sich nur an die Ziegenbart-Invasionen der 90er-Jahre als entbehrliche Nachwirkungen der Grunge-Jahre – alles vergessen. So wird es auch all den „blassen Weißen“ im Sinne Frere-Jones’ gehen, die kein Interesse für die Segnungen der afroamerikanischen Wurzeln der Musik haben, die sie spielen. Der Tross, der sie heute noch mit Null-Begriffen wie stylish und sexy assoziert, wird morgen weiterziehen. Sie werden ihre Röhrlhosen ausziehen. Sie werden von der Bildfläche verschwinden.
Wann das passiert? Keine Ahnung. Aber einen Tipp wage ich: Spätestens dann, wenn selbst Kate Moss nicht mehr mit Indie Rockern schläft.
16. Oktober 2007