Es begann mit einer kurzen Email heute morgen. Darin stand: „hab gerade deine geschichte zur yyy-platte gelesen. und da kam mir ein gedanke: rezensionen von popsongs werden aussterben. weil: es gab früher 3 gründe, warum das publikum rezensionen las: 1. der journalist hatte deutlich früher zugang zum material und 2. das budget für den platten- oder CD-kauf war begrenzt. beides ist im internet-zeitalter obsolet. sobald der download mal kürzer dauert als das lesen einer rezension, wird letzteres geradezu widersinnig. außer aus grund 3: der text ist gut recherchiert und geschrieben. ich wage zu bezweifeln, dass das reichen wird“
Natürlich wäre es dem Format unserer Seite angemessen gewesen, diesen Gedanken gleich unter den Text zu kommentieren, aber ich schätze natürlich auch diesen persönlichen Weg. Vor allem, wenn ich deshalb noch kurz damit rechne, dass daraus der kluge Text eines Autoren entsteht, den ich ohnehin liebend gerne hier bloggen sähe.
Aber nein, schreibt er mir dann später: „ich hab gehofft, du übernimmst das.“ Und damit er mich auch wirklich kriegt, der ausgefuchste Kerl, erblicke ich ihn dann wenig später bei Facebook mit der Statuszeile: „Michel findet poprezensionen sooo print-zeitaltrig.“ Das ist natürlich eine gezielte Provokation, die ich so nicht stehen lassen kann.
Beginnen wir daher beim Konsumenten vom Popmusik, der gleichzeitig ja auch der einzig logische Konsument der Pop-Rezension ist. Es gibt prinzipiell wohl zwei Arten der passionierten Musikhörer: die Spürer und die Deuter. Mischformen sind natürlich durchaus möglich, aber zumindest eine klare Tendenz in eine der beiden Richtungen ist meist zu erkennen.
Die Spürer brauchen keinen Text, der ihnen das Gefühl erklärt, das sie beim Hören eines bestimmen Songs überkommt. Die Spürer wollen auch gar nicht wissen, warum sie tanzen, sondern sie wollen tanzen. Die Spürer sind die große Mehrheit.
Die Deuter spüren zwar auch etwas, wenn sie hören, aber sie wollen das Gehörte obendrein einordnen. Historisch, gesellschaftlich, kulturell. Die Deuter wollen Sounds herleiten und sie in Worte überleiten. Die Deuter suchen – ganz in ihrem Wortsinne – die große Bedeutung zwischen Beats und Melodien. Manchmal tun sie das auch dort, wo gar nichts ist, denn der große Nachteil der Deuter ist, dass sie schon immer gerne so über die Stränge geschlagen haben, dass keiner ihr hochgestochenes Gestammel versteht. Die Folge: Der Spürer verachtet sie wohl ebenso wie sie ihm wegen seiner vermeintlichen Oberflächlichkeit misstrauen.
Nun haben Filesharing und die damit verbundene Downloadkultur zwar vielleicht ein Geschäftsmodell zerstört, doch das Musikhören haben sie wenig verändert. Sicher, der Mensch hat heute (in Stunden gemessen) mehr Musik zur persönlichen Verfügung als noch im Zeitalter von LP und CD. Und sicher, es wirkt heute fast schon authentischer, wenn einem Musik nicht physisch, sondern als Link auf irgendeinem Filesharing-Blog begegnet, der sich einen Dreck um offizielle Veröffentlichungsdaten, Sperrfristen oder ähnliches schert.
Doch gehört wird immer noch so wie früher: als Spürer oder als Deuter. Die Vorabrezension erscheint in diesem Sinne daher nur in der gedruckten Zeitung absurd – wie so vieles, das dort so tut, als wäre es alleine schon deshalb von großem Gehalt, weil für seine Verbreitung Papier, Druckfarbe, ein Lastwagen und ein paar Menschen notwendig waren.
Selbst die gleichzeitige – ja sogar die nachträgliche Erklärung eines heruntergeladenen Werkes – ist für den Deuter eine essenzielle Sache. Außerdem kann er im Netz jederzeit seinen Senf dazu geben, die Geschmacksverwirrung eines Rezensenten geißeln oder einfach nur hemmungslos Fan sein. Und letztere fangen dann vielleicht irgendwann an, wieder physische Tonträger zu kaufen. Nur Vinyl selbstverständlich, denn wenn schon dem Digitalen misstrauen, dann richtig.