Dieser Tage wird in Österreich viel über junge Menschen geschrieben und gebloggt. Auch weil die Wirtschaftskrise die ohnehin schon deutliche Tendenz zum rechten Rand verstärkt. Und die hat viel mit einem Grundempfinden zu tun, auf der Verliererseite des Lebens zu stehen, das von einer Krise die letzten Beweise dafür geliefert bekommt: noch weniger Jobs, noch weniger Chancen, alles droht noch beschissener zu werden, als es eh schon ist.
Sicher, aus der Distanz des Über-Dreißigjährigen in einer halbwegs gesicherten Existenz schrammt man mit solchen Thesen oft haarscharf an der reinen Spekulation vorbei, doch die Indizien im Umfeld mehren sich. Zum Beispiel der Freund, der einem erzählt, dass er trotz ungezählter Diskussionen davon ausgeht, dass sein bald 16-jähriger Sohn den ersten Wahlgang wohl dafür nützen wird, die FPÖ zu wählen, weil er in ein Gymnasium mit hohem Ausländeranteil geht. Oder die Geschichten eines 21-jährigen, der es trotz frühen Schulabbruchs aus eigener Kraft geschafft hat, aus einem tristen, kaputten Dorf im oberösterreichischen Voralpenland in die nächste Stadt zu ziehen und sich dort eine eigene Existenz aufzubauen. Die Freunde von früher, sagt er, kann er vergessen. Die hängen im letzten Wirtshaus herum, das es noch gibt, und saufen sich an. Die sind mit ihren Hilfsarbeiterjobs zwar nicht zufrieden, aber sie machen ihre Umwelt dafür verantwortlich, dass sie bis zum Lebensende nichts anderes auf die Beine stellen werden: Scheiß Ausländer, scheiß Weiber, scheiß alles.
Sicher, das sind nur zwei Geschichten, eine aus der Stadt, eine vom Land. Sie sind nicht repräsentativ, aber sie erzeugen ein Gefühl, das durch eine profil-Story, die aus seriösem Datenmaterial zitiert, noch bestätigt wird: Es gibt eine große Zahl junger Menschen da draußen, die glauben, dass alles den Bach runter geht, und eigentlich nur darauf warten, bis er sie mitreißt.
In Deutschland wurde für diese Modernisierungsverlierer und potenziellen Rechtsaußen-Wähler vor ein paar Jahren der soziologische Begriff Prekariat in die öffentliche Diskussion eingeführt – er umfasst allerdings nicht nur Junge, sondern alle Altersklassen. Und Dank eines freundlichen Hinweises bin ich vor ein paar Tagen auf spiegel.de wieder darauf gestoßen. Dort klärt der Soziologe Franz Walter anhand von Erkenntnissen Göttinger Politologen und Heidelberger Lebensweltforscher folgende Frage: „Wieso die kleinen Leute verbittert sind“.
Walter erzählt davon, dass alle zu wenig Geld haben und die Sorge vor den Auswirkungen der Krise die Aggressionen gegen „die anderen“ – also „die Schuldigen“ – erheblich steigert. Das Ziel dieser Aggressionen sind dann meistens „die Ausländer“. Daraus folgt:
- Das Prekariat hält Politik, Unternehmen und Medien für einen korrupten Haufen, der sich gegen sie verschworen hat.
- Das Prekariat interessiert sich nicht für Demokratie, weil es ohnehin nicht an Mitbestimmung glaubt.
- Und das Prekariat ist von einer schweren Krise der Männlichkeit geprägt.
Walter dazu: „Alles, was einst den „starken Mann“ ausgemacht hat, ist in der gesellschaftlichen Bedeutung während der vergangenen Jahre geschrumpft: das Manuelle, die kesse Lippe, Sexprotzereien, die Kraft der Faust, die vitale körperliche Unmittelbarkeit. Stattdessen wird nun wertgeschätzt: Wissen, Bildung, Kultur, Sprachfähigkeit, körperlose Interaktivität. Das Gros der politischen und interpretierenden Klasse steht dafür, verkörpert und postuliert also all das, was das Selbstwertgefühl des männlichen Teils der unteren Schichten täglich in Frage stellt.“
Das sind ein paar sehr kluge Sätze, die Erfahrungen wie die zwei eingangs geschilderten Fälle gut erklären können. Der klassische männliche Modernisierungsverlierer hat keine Bildung, keine Ausbildung und daher kaum eine Chance auf einen Job jenseits der 1000 Euro. Er bleibt überdurchschnittlich lange im Schoße des Elternhauses (laut aktuellem profil ist das „Hotel Mama“ eine Domäne der Söhne, denn Töchter – egal ob mit Migrationshintergrund oder nicht – ziehen eher daheim aus als ihre Brüder). Er sucht sich Gleichgesinnte, die ihm leider keine Anerkennung geben können. Und die Frauen für die er sich interessiert, sind vielleicht auch nicht besser dran, aber sie wissen trotzdem, was sie wollen: Keinen solchen Loser wie ihn.
Auch wenn sich Deutschland und Österreich nicht direkt miteinander vergleichen lassen: Wer sich ein bisschen unscharfe Argumentation gönnt, kann durchaus die geschätzten 20 Prozent Wählerreservoir der FPÖ (sie hält seit der Nationalratswahl von 2008 bei 17,5 Prozent) mit Walters Prekariat gleichsetzen. Darin sind junge Menschen im Vergleich zu den anderen Parteien deutlich überrepräsentiert, weil sie HC Strache dort abholt, wo sie noch zu kriegen sind: in der Disco, beim Saufen.
Nicht, dass Strache der richtige Mann wäre, um ihnen die Angst zu nehmen. Aber er ist der einzige, der verstanden hat, dass diese jungen Männer – absurderweise Österreicher und Migranten gleichermaßen – wütend genug sind, um ihm, dem Rächer, eine Stimme zu geben. Er kommt ihnen nicht mit Bildungsgewäsch und überkommener Integrations-Romantik, sondern mit knappen Botschaften: Es geht euch beschissen. Die anderen sind schuld. Zeigt es ihnen.
Ironie dieser Geschichte ist, dass dieser Mechanismus nicht nur in sozial niedrigen Schichten greift, sondern auch dort, wo Jugendliche in gute Schulen gehen – auch hier kenne ich ein Beispiel aus dem persönlichen Umfeld. Dort wäre zwar Kraft der Bildung genug Potenzial da, um sich in der immer komplexer werdenden Welt durchzuschlagen, doch das nützt keinem, der auf Facebook auch wieder keine Gleichgesinnten, sondern nur seine politisch korrekten Eltern trifft. HC Strache ist nämlich bis dato dort noch nicht präsent. Wozu auch?