Für Österreich ist es gut, dass wieder über Natascha Kampusch diskutiert wird. Vor allem deshalb, weil es am liebsten gleich alles wieder vergessen würde.
In diesem Land wird nur ungern gefragt. Als kürzlich zum Beispiel nach der Vergangenheit eines Toten gefragt wurde, der auf den Namen Helmut Zilk hörte, gab es gleich die volle Breitseite des Volkszorns, weil die Antwort auf die Frage eine Legende beschmutzen hätte können. Und weil Fragen nach der Vergangenheit sowieso irgendwie unangenehm sind. Mit dem Fragen ist es in Österreich wie mit dem Lesen, das einen einer alten Volksweisheit zufolge auch nur auf dumme Gedanken bringt. Wer etwas gegen diesen österreichischen Wesenszug hat – meist positiv als Gemüt gedeutet –, ist eh meistens ein Deutscher und soll verdammt noch einmal den Dreck vor der eigenen Haustür kehren, ehe er sich in unsere Probleme einmischt.
Dieses Nicht-Fragen hat in Österreich ein lange Tradition, weil es dem Gemüt hilft, dem Frieden, dem kollektiven Befinden. So ließ sich Franz Fuchs bereitwillig als Einzeltäter akzeptieren. So ließ sich verstehen, dass keiner etwas von den Vorgängen in Josef Fritzls Keller gemerkt hat. Und so war auch logisch, dass Wolfgang Priklopil unbehelligt acht Jahre lang Natascha Kampusch festhalten konnte.
Waren halt böser als sie aussahen, diese Herren. Schwamm drüber und Prost. So gesehen ist es erfreulich, dass plötzlich wieder über den Fall Kampusch geredet wird. Das bedeutet, dass offene Fragen mit Verspätung doch gestellt werden, auch wenn sie unangenehme Dinge in die Öffentlichkeit rücken könnten: mögliche Mitwisser, peinliche Ermittlungsfehler und noch einiges mehr, was dieser Tage nur als Gerücht herum geistert.
Leider war es die Tageszeitung „Österreich“, die heute mit zweifelhaften Erkenntnissen aus dem Zwischenbericht der Kampusch-Kommission vorpreschte. In dieser Zeitung wird im Zweifel eher um der Sensation willen maßlos übertrieben, und daher muss Kommissionsleiter Ludwig Adamovich bereits die Behauptung dementieren, dass es fünf Mitwisser gegeben haben könnte. Was tatsächlich im Bericht steht, darf er nicht sagen, weil das Innenministerium keinen Kommentar zur Causa abgeben will: Aufgrund des offenen Verfahrens gibt es keine Stellungnahme, heißt es nach derzeitigem Stand aus dem Ressort von Maria Fekter.
Eine absurde Situation: Da gäbe es erstmals die Möglichkeit, den Vorwurf des kollektiven Verdrängens aus der Welt zu schaffen, aber alle Beteiligten halten dann doch lieber den Mund und lassen so neue Gerüchte gedeihen. Das hilft dann wieder nur denen, die lieber vergessen wollen anstatt die Wahrheit zu erfragen.