Da greif ich doch zu!
Hubert Burda neidet Google die Werbeumsätze. Und Malcolm Gladwell findet kostenlose Inhalte gar nicht gut. Das wären dann schon zwei, die mit der Gegenwart nichts mehr anfangen können.

Hubert Burda, der netz-affinste unter den deutschen Verlegern, fühlt sich dieser Tage von Google und anderen Diensten „schleichend enteignet“. Er beklagt in einem Aufsatz in der FAZ, dass Suchmaschinen von den teuer erstellten Inhalten seines und anderer Verlagshäuser profitiert und möchte gerne an deren Umsatz beteiligt werden. In der Blogosphäre hat ihm diese Ansicht reichlich Kritik eingetragen (zum Beispiel hier von Thomas Knüwer und hier von Timo Heuer).
Das Problem dieser Diskussion hat mit einem Irrtum zu tun, der in den ausklingenden 90er-Jahren passierte. Damals ging die Welt davon aus, dass sich mit Online-Projekten viel Geld verdienen ließe. Nur leider sind es bis heute wenige geblieben, die das tatsächlich geschafft haben. Google mit seinem wegweisenden Adsense-Algorithmus gehört zum Beispiel dazu – und das Gros der traditionellen Verlagshäuser eben nicht.

Dass dieses Ungleichgewicht Neidreflexe schürt, liegt auf der Hand, aber führt zu nichts. Ebenso wenig wie ein Blick in die amerikanischen Blogs, wo Burdas Existenzängste reichlich egal sind, die Internet-Auskenner aber wegen eines Buches streiten, das gerade erschienen ist. Es heißt „Free. The Future Of A Radical Price“ und stammt von Chris Anderson, Chefredakteur des Magazins Wired. Es ist auch online (und selbstverständlich „for free“) nachzulesen.
Anderson analysiert darin den radikalen Preisverfall diverser Güter und stellt sich die berechtigte Frage, wie in Zukunft damit Geld verdient werden soll. Es geht, sagt er. Wenn man zum Beispiele Inhalte verschenkt, um mit dem Drumherum Umsätze zu generieren. So wie es Mobilfunkanbieter schon seit Jahren tun, also Endgeräte herschenken und damit Leute zum Telefonieren bringen.
Anderson denkt allerdings vor allem über die Güter nach, mit denen das Web bestückt ist, die Texte, die Bilder, die Videos. Seine These, sinngemäß wiedergegeben: Viele Branchen – allen voran die Musikbranche und das Verlagswesen – müssen davon ausgehen, dass ihre Inhalte den Konsumenten in diesem Leben nie mehr so viel wert sein werden wie sie es ihnen früher einmal waren. Was dann wiederum bedeutet, dass traditionell arbeitende Verlagshäuser (Stichwort: Burda) in absehbarer Zeit ihr Ablaufdatum erreicht haben. Nicht, dass Print tot wäre, wie Kollege Lennox immer schreibt. Print wird nur einen Bruchteil des Geldes von heute umsetzen. Und Print wird daher nur mehr einen Bruchteil der Journalisten, Fotografen und Grafiker von heute ernähren.
Diese Prognose Andersons gefiel zum Beispiel Malcolm Gladwell wenig. Er zerfetzte dessen Thesen im New Yorker in der Luft (der New Yorker erscheint hübscherweise im gleichen Verlag, der auch Andersons monatliches Gehalt bei Wired zahlt: Condé Nast) und kam dabei leider neben berechtigter Kritik (Anderson verdichtet komplexe Zusammenhänge als Journalist eben wahnsinnig gerne zu tollkühnen Thesen) nicht am Denkfehler vorbei, der auch Burda passierte: Er meint, dass nur Medienbetriebe in ihrer traditionellen personellen Aufstellung guten und relevanten Journalismus produzieren können. Bürgerjournalisums, Gemeinschaftsprojekte aus der Cloud, Blogs, kleine Einheiten von ein paar Leuten – alles nicht relevant. Es muss daher, so Gladwell, alles so bleiben, wie es ist, damit auch der Journalismus überleben kann.

Womit wir beim Riepl’schen Gesetz wären, das dieser Tage gerne zitiert wird: Kein Medium wurde bisher durch ein neues ersetzt. Also Print nicht durch Radio, und Radio nicht durch Fernsehen. Leider beruht dieses Gesetz bloß auf Boebachtung der bisherigen Kommunikationsgeschichte. Für Prognosen hat es keinerlei Relevanz.
Und die Zukunft wird von einem Medium geprägt, das gar nichts ersetzen muss, weil es eh alles kann. Da wird das beste aus allen Welten in hybride Formate gegossen.
Wo das hinführt? Es wird beim Gratis-Web bleiben (das ohnehin nur gefühlt ist, denn wir zahlen alle brav für unsere Endgeräte und Netzzugänge), denn nur frei verfügbare Inhalte führten es zu seiner heutigen Größe. Außerdem erlauben nur frei verfügbare Inhalte, dass alle mitmachen und mit ihrer kollektiven Intelligenz für die Verknüpfung der Informationen sorgen.
Daran trägt nicht Google die Schuld, sondern wir. Wir haben das Netz zu dem geformt, wie es heute aussieht. Wir müssen uns wie Burda daher auch damit abfinden, neue Geschäftsmodelle zu erfinden anstatt bloß die zu beneiden, denen es schon gelungen ist. Wir haben keine andere Wahl.
Und noch etwas, das in einer vorwiegend von Journalisten geführten Diskussion gerne zu sehr in den Vordergrund gerückt wird: Ja, es wird weniger von uns geben, und wir werden weniger verdienen. Das ist allerdings nur ein persönlicher Nachteil, der für den Lauf der Welt völlig wurscht ist.

Weiterführende Links zu Burda vs. Google
Hubert Burdas Text in der FAZ
Thomas Knüwer in seinem Handelsblatt-Blog
Timo Heuer im t3-Magazin 

Weiterführende Links zu Anderson vs. Gladwell
Chris Andersons Buch „Free“ bei Scribd
Chris Anderson zum Thema in Wired
Malcolm Gladwell im New Yorker
Überblick über die Diskussion auf ReadWriteWeb