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Offensichtlich braucht es einen Schock, damit wieder Vernunft ins Denken einkehrt. Vor ein paar Tagen war bei der britischen Labour Party jedenfalls noch Schockstarre angesagt, weil die Boulevardzeitung „The Sun“ verkündet hatte: „Labour’s Lost It“, sinngemäß zu übersetzen mit „Labour hat keinen Sinn mehr“.

Das Blatt entzog damit der Partei die wohlwollende Unterstützung, die sie ihr seit dem Jahr 1997 gewährt hatte und wird fortan für die politischen Interessen der Tories trommeln. Die Sun ist die am meisten gelesene Tageszeitung Großbritanniens. Und es gilt als unausgesprochenes Gesetz, dass es nahezu unmöglich ist, gegen ihre Interessen (wie immer bei Boulevardzeitungen als Interessen des kleinen Mannes missverstanden) Politik zu machen, geschweige denn Wahlen zu gewinnen. Im Mai 2010 wird in England gewählt, die Umfragewerte für Labour sind katastrophal, wenn die Sun nimmer mehr mitmacht, kann die Partei eigentlich gleich zusperren. So wurde zumindest die Stimmung von der Labour-Konferenz in Brighton nacherzählt, die zur selben Zeit stattfand. Hier etwa die gesammelte Berichterstattung auf guardian.co.uk.

Es wird allerdings auch erzählt, dass der öffentliche Liebesentzug der Sun einen generellen Umschwung in der Ausrichtung der Strategie für die Labour-Politik herauf beschwören könnte (etwa in einem Text des Young Labour-Chefs Sam Tarry angedeutet). Weil sie gar keine andere Wahl hat, ist die Partei gezwungen, die Macht der Zeitung zu hinterfragen. Sie kommt dabei zum zweckoptimistischen Schluss, dass eh alles halb so schlimm ist. Und auch der Tenor von Diskutanten in einer Expertenrunde auf BBC ging in diese Richtung: Ist doch egal, was die Sun schreibt, pfeift doch überhaupt auf die gelernten Mechanismen – viel wichtiger ist heutzutage, was die Blogger und Digital Natives denken.

So weit, so England.

Verallgemeinert man diese Stimmungsänderung ein bisschen, erhärtet sich trotzdem schnell ein Verdacht, der Hoffnung gibt: Es könnte tatsächlich sein, dass die alten Kanäle, in denen Politik gemacht und kommuniziert wird, schneller zusammenbrechen als geglaubt. Erstens, weil die Digital Natives ihnen zirka so grundsätzlich misstrauen wie Armin Thurnher den Digital Natives. Und zweitens, weil durch den Durchlauferhitzer von Social Media oder sichtlich erfolgreiche Grassroots-Bewegungen wie dem Obama-Wahlkampf die Politik-1.0-Generation irgendwann merken muss, wie viel Kraft im Umstürzen der alten Verhaltensmuster und Strategien steckt.

So wie in England die Macht der Sun bereits vielen als Mythos gilt (hier etwa in einem Text des linken Wochenblattes New Statesman), ist wohl auch die der Kronen Zeitung in Österreich hemmungslos überbewertet. Deren Macht funktioniert vor allem deshalb, weil alle Beteiligten daran glauben, und der greise Herausgeber am allermeisten.

Als Politiker gedacht sind die Fragen zum Thema eigentlich simpel: Was hilft dir ein Blatt, das heute die Interessen der Generation 60plus vertritt, bei Maßnahmen für morgen? Und was hilft es dir, einem solchen Blatt nach dem Mund zu reden? Natürlich nichts. Die jüngeren Generationen erreicht die Krone als Pensionistenblatt ohnehin immer weniger. Und jene Meinungsführer, die das Netz zum Ordnen ihrer Informationen verwenden, finden höchstens die neue Website so hässlich, dass es zum Lachen ist.

Ich prophezeie also hiermit, dass bereits die erste Partei, die auf die Krone pfeift, danach auch nicht schlechter aus Wahlen hervor gehen wird. Und die zweite, die es ihr gleichtut, könnte bereits dafür sorgen, dass sich auch in Österreich der Weg in eine andere Öffentlichkeit bietet. Wie die aussieht? Die Krone wird darin noch immer ihre unangenehmen Spielchen spielen, aber sie werden vielleicht nicht mehr wie Leserbriefe aus Parteizentralen aussehen. Allein das wäre schon viel wert.