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Die Musikrezeption hat sich im Social Web grundlegend verändert. Was aber noch lange nicht heißt, dass einen das vor Fehlern schützt.

Beginnen wir mit einer kleinen Nacherzählung alltäglichen Surfverhaltens: Es begann im Musikblog des Guardian. Dort stieß ich kürzlich auf einen Link zu diesem Blogpost. Dort wiederum sah ich ein Video eines Projektes namens Ape School. Ich sah es an und fand es gut. Gute Geschichte, hübsche Animation, schön die Stimmung des Songs untermalend. Hier ist es der Vollständigkeit halber noch einmal:

[pro-player width=’570′ height=’320′ type=’video‘]http://www.youtube.com/watch?v=96fg9N00QX0[/pro-player]

Dieses Video machte mich also neugierig. Ich wollte mehr über Ape School wissen, landet via Google bei pitchfork und einer Rezension des Ape School-Albums (es heißt „Ape School“). Dort lernte ich, dass dahinter der für Ninja Tune arbeitende Produzent Michael Johnson steht. Noch nie gehört, den Namen, aber Ninja Tune, das klang gut. Ich hörte auf zu lesen, widmete mich dem Musikplayer nebenan, hörte mir ein paar Songsnippets an und traf eine Entscheidung: Kaufen. Im iTunes-Store gab’s das Zeug, kurz danach war im Besitz von 13 Soundfiles mehr.

Insgesamt dauerte der ganze Vorgang wohl 15 Minuten und er illustriert nicht nur mein alltägliches Kaufverhalten bei Musik gut, sondern das vieler anderer Menschen auch. Bloß habe ich noch nie darüber nachgedacht, welch grundlegender Paradigmenwechsel da dahinter steht. Früher, in der Zeit vor dem Web, hätte mich schon das Aufstöbern eines Albums wie das von Ape School viel Zeit und Geld gekostet. Irgendein überteuertes britisches Musikmagazin im Bahnhofskiosk erstehen, dann die Rezensionen durchackern, dann ins Plattengeschäft, dann bestellen, dann nach ein paar Tagen mehr zahlen als die 9 Euro 99 im iTunes-Store.

Rückblickend traue ich mir zu sagen: Ich hätte damals mit Ape School wahrscheinlich mehr Freude gehabt als heute. Der Distinktionsgewinn wäre größer gewesen, und der Triumph, ein besonderes Stück Musik entdeckt zu haben ebenfalls. Nicht, dass ich dieser Zeit nachweine. Ich gehe sogar davon aus, dass ich mir heute so einen Aufwand gar nicht mehr gäbe – aber das Beispiel Ape School hat mir bewusst vor Augen geführt, was Martin Blumenau einmal geschrieben hat: Musik ist heute tatsächlich viel wurschter als sie früher einmal war, nicht nur bei den Auskennern und Opinion Leaders, sondern bei allen. Sie ist durchs Netz zuerst zur kompakten Datei geschrumpft worden und wird in naher Zukunft wohl nur mehr als Stream auf unsere Endgeräte gelangen. Die Geschichte zur Musik ist damit zwar nicht obsolet, sie ist aber viel weniger persönlich als früher. Sie wird in Häppchen automatisch dazu geliefert und erfordert keinen aktiven Konsumenten mehr.

Ist das schlecht? Nein, es ist nur einer von vielen Nebenaspekten des allumfassenden Umbruchs, den das Netz gerade forciert. Und das hindert einen noch lange nicht vor Fehlkäufen. Wäre ich nämlich vor vielen Jahren auf Ape School gestoßen, hätte ich die Rezension auf Pitchfork zu Ende gelesen, anstatt gleich mit dem Player daneben zu spielen. Daraus hätte ich dann gelernt, was ich nun selber erfahren musste: Es handelt sich hier in Wahrheit um ein sehr mageres Album. Zwei, drei gute Songs drauf, der Rest die typische Wichtigtuerei eines Produzenten, der aus seinen Geräte viel Stimmung herausholen kann, aber kein gutes Händchen für Strukturen hat.