Museum des 21. Jahrhunderts. In den Nullerjahren wurde plötzlich sogar Shopping zum ironischen Akt. Das musste schief gehen.
Du, zum Zynismus noch, sagte er mir vergangene Woche in der Früh im Kindergarten, wo wir einander manchmal über den Weg laufen. Zynismus ist was Hündisches, sagte er, destruktiv und durch und durch negativ. Da hatte er sicher recht, wie ein kurzer Blick in die Wikipedia zeigt (ich spare mir hier den Exkurs zu den antiken Kynikern und der weiteren Genese des Begriffs, denn das steht eh auch dort).
Dieser kurzen Unterhaltung am Morgen war ein paar Tage zuvor ein längerer Abend voran gegangen. Ich machte mich da nach ein bisschen Alkohol für den Zynismus stark, er für die Ironie, und wir fanden nicht recht zueinander. Wohl auch, weil ich ein bisschen Blödsinn geredet hatte. Aber wohl auch, weil ich erst heute weiß, was ich vor einer Woche sagen wollte.
Also: Die Ironie war wahrscheinlich die Kardinaltugend des ausklingenden Jahrzehnts. Sie erlaubte, uns nicht festzulegen. Sie stellte uns immer auf die richtige Seite. Sie war unser letzter Rettungsanker, wenn nichts mehr ging. Das war praktisch, erwies sich aber als Sackgasse. Oder wie Georg Diez in seiner empfehlenswerten Jahrzehnts-Rückschau im Magazin des Schweizer Tagesanzeiger schreibt:
Nichts war wirklich, nichts war bedrohlich, nichts war wichtig. Alles war Zitat, alles war Ironie, alles war „eigentlich“ — auch so ein Wort, das diese wabernde Zeit beschreibt, in der man Entscheidungen vertagte, Entwicklungen verzögerte oder umdrehte.
Eigentlich war Ironie also ein sehr praktisches Tool für die Nullerjahre. Nicht umsonst nennen die Engländer diese Dekade so liebevoll „Noughties“– das klingt nach herrlichem Ungezogensein, meint in Wahrheit aber bloß das Scheitern im großen Stil. Und dieses Scheitern lässt sich mit einem Smiley dahinter leichter ertragen.
Nur haben wir vor lauter Smileys, Emoticons und Eigentlichs irgendwann den Inhalt aus den Augen verloren. Die Ironie erlaubte uns, keine Meinung und Haltung zu haben. Und nicht nur das: Vor lauter Ironie stellten wir derlei Eigenschaften gleich unter den Generalverdacht der Naivität.
Wer an etwas glaubte, galt als naiv. Wer als naiv galt, schaute – hihi – durch die Finger. Der spekulierte nicht. Der kaufte ein Haus nur, wenn er Geld dafür hatte. Der tat einfach all das nicht, was in den Nullern als Erfüllung des persönlichen Glücks galt. Zur Speerspitze des ironisch verbrämten Lifestyles der Nullerjahre entwickelte sich der Boboismus. Dessen Protagonisten schafften es sogar, ihre Haltung auf bloßen Konsum reduzieren. Damit konnte sogar eine Serie wie „Sex And The City“ zum globalen Hit werden.
Shopping als ironischer Akt – das war der Gipfel. Das konnte nicht gut gehen. Und das war’s dann auch. Ein paar Blasen platzten, die Weltwirtschaft strafte uns mit blankem Zynismus ab. Sehr gemein das alles, aber jeder, der denken kann, weiß heute, dass es so kommen musste.
Außerdem kann der Zynismus, der da über uns herein brach, sehr heilsam sein. Vielleicht ist er sogar notwendig. Und vielleicht ist er auch der Grund, warum heute nicht mehr „Sex And The City“ die Fernsehzuschauer der Welt eint, sondern „House“ – die wöchentliche Huldigung eines passionierte Zynikers, der verletzt, beleidigt und intrigiert, um die Lebenslügen seiner Welt bloßzustellen.
Natürlich ist House deshalb nicht sympathisch. Aber er ist wenigstens nicht so elend langweilig wie andere prägende Figuren der Nullerjahre. Robbie Williams zum Beispiel, der größte europäische Popstar der vergangenen Dekade. Er war als ironisch gebrochenes Gesamtkunstwerk berühmt geworden, das mit jedem Grinser und jeder Songzeile sein Leben und seine Rolle nicht ernst nahm. So lange spielte er mit seinen Identitäten, dass am Schluss keiner mehr wusste, wer Williams überhaupt war – ein depressives Wrack oder ein cleverer Kerl oder beides. Und dann musste er vor ein paar Wochen in „Wetten dass …“ auftreten, um sein neues Album zu bewerben. Er stammelte nervös ein paar müde Witze, aber ansonsten saß vor allem ein elendes Häufchen Ironie auf der Couch, das an seinem Anzug nestelte und nichts mit sich anzufangen wusste.
Peter Sloterdijk, Philosoph von Beruf, hat bereits 1983 in seiner „Kritik der Zynischen Vernunft“ sinngemäß erklärt, dass Zynismus den Charakter zerstört. Das mag sein, aber mit der Ironie sind wir schließlich auch so weit gekommen. Dem Zyniker in mir gefällt das natürlich wahnsinnig gut.