Unter uns Freunden der Netzkultur herrscht zumindest in einer Sache unumstrittene Einigkeit: Das Social Web mit all seinen Interaktionen ist nicht nur dazu da, Landplagen der nächsten Generation wie Justin Bieber großzuziehen, sondern auch ein Instrument, das persönliche Freiheit stiften kann. Und alles was neu ist, trägt dazu bei.
Vor ein paar Tagen etwa hat Facebook einen universellen „Like“-Button eingeführt, dessen größere Bedeutung drüben bei Helge Fahrnberger sehr schön erklärt ist. Wir, die Freunde der Netzkultur, stellen uns mit der Integration solcher Tools (Der „Like“-Button findet sich auch auf ZiB21, jeweils unter den Blogposts) natürlich breitwillig in den Dienst von Facebook, weil wir am großen Kuchen Traffic mitnaschen, die Zeichen der Zeit nicht verpassen und auch sonst alles richtig machen wollen. Und das, was wir unter „richtig“ verstehen, meint meist ein offenes, partizipatives Netz, dem wir weiterhin demokratische Notwendigkeit und das Stiften von Meinungsfreiheit unterstellen. Das gefällt uns.
Nun ist auch das Web von wenigen großen Playern dominiert. Es gibt Google, Herr über Suchalgorithmen und den Großteil der Werbeumsätze im Netz. Es gibt Facebook, Herr über unsere Freundschaften, unseren Geschmack und unsere Diskussionen. Es gibt Apple, Herr über unsere Sehnsucht nach schnieken Geräten, die Ordnung in die komplizierten Zusammenhänge bringen, die das Leben mit dem Netz so mit sich bringt. Und ja, es gibt auch kleinere Fische da draußen, aber für die Argumentation hier reichen mir diese drei.
Gehen wir also von der idealistischen Annahme aus, dass uns das Web nicht bloß die Freiheit schenkt, einen 16-jährigen wie Justin Bieber zum Star zu machen, sondern auch ein Instrument zur freien Meinungsäußerung ist. Das hieße dann doch auch, dass die großen Player, die für einen Großteil des Traffic sorgen, ebenfalls auf unserer Seite stehen müssten.
Das ist natürlich Blödsinn, wie sich mit unzähligen Beispielen belegen lässt. Für heute müssen allerdings zwei reichen, die genauer nacherzählt gehören. Apple zum Beispiel hat in seinem App-Store keine rechte Freude mit pornografischen Inhalten. Kein Wunder, sagen wir uns. Ist ja ein amerikanisches Unternehmen und im Mutterland der Hardcore-Pornografie ist schnell was sittenwidrig. Apple hat aber auch keine rechte Freude mit Satire. Mark Fiore zum Beispiel, von Beruf ein mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneter politischer Cartoonist, konnte seine Zeichnungen erst als iPhone-App anbieten, als öffentlich wurde, dass sie eigentlich abgelehnt worden war, weil sie „Personen des öffentlichen Lebens lächerlich macht“. Fiore wäre hier also fast sein Handwerk – freie Meinungsäußerung in Form von Cartoons – zum Verhängnis geworden, und hätte Apple nicht dem öffentlichen Druck nachgegeben (eine reine PR-Entscheidung), gäbe es die App wohl immer noch nicht als Download.
Oder Youtube, das dieser Tage ungefähr fünf Jahre alt gewordene Videoportal. Aber was heißt hier schon Portal: Youtube ist in Wahrheit das einzig gültige Synonym Video im Netz. Was nicht bei Youtube ist, wird weniger gesehen. Das Portal steht im Besitz von Google. Vor ein paar Tagen lud jemand das Video zur neuen Single „Born Free“ von M.I.A. hoch. Es handelt sich dabei um einen Kurzfilm des Regisseurs Romain Gavras, der in drastischen Bildern – eines davon ist ein Zitat dieser ikonografischen Fotografie vom Massaker in My Lai, Vietnam – von polizeilicher Willkür, Menschenhatz und Mord erzählt. Hinter dem Film steckt sicher einiges an Kalkül, um Aufmerksamkeit für das demnächst erscheinende Album von M.I.A zu schüren, doch er ist auch ein künstlerisches Werk, ein Statement – und eine Form der freien Meinungsäußerung. Das Video wurde von Youtube aus dem Verkehr gezogen, selbstverständlich ohne bis heute über die Gründe zu berichten, und wer je direkten Kontakt mit Google suchte, ist davon sicher nicht überrascht. Offizelle Erklärungen zu solch Nebensächlichkeiten gibt es nicht. Könnte ja jeder kommen und fragen.
Sicher, mit ein bisschen mehr Aufwand lässt sich das Video auch anderswo als auf Youtube finden, auf der Vimeo-Seite des Regisseurs etwa steht es noch heute. Und sicher, niemand ist gezwungen, Youtube, Google oder anderes zu nutzen oder beim Surfen überall seine Spuren zu hinterlassen. Doch dazu braucht es zusätzliche Tools und eine Form der Medienkompetenz, die ich nur einer kleinen Elite zutraue. Der große Rest weiß nichts davon oder ist schlicht zu bequem dazu.
Und der große Rest begibt sich weiterhin in die Hände der großen Player – wohl auch, weil er sich einen Dreck um Demokratie und freie Meinungsäußerung schert. Womit wir wieder bei Justin Bieber wären. Aber das ist in Wahrheit eine ganze andere Geschichte.