Lady Gaga ist eine Nervensäge. Nur leider ist ihre Konkurrenz viel zu lahm, um diesen Zustand zu beenden.
Der Irrtum des Schwätzers liegt darin, dass er glaubt, er müsse Blödsinn nur oft genug wiederholen, um ihm Relevanz zu verschaffen. Gestern habe ich mir auferlegt, das neue Album „Bionic“ von Christina Aguilera durchzuhören. Bitch, Bitch, Bitch, heißt es darauf. Und Lick, lick, lick.
Macht einem solches Geschwätz schlimme Gedanken? Natürlich nicht, weil erstens jede durchschnittliche 14jährige aus Wien Ottakring roher zu sprechen vermag als Christina Aguilera. Und weil zweitens im Viral Video-Pop ohnehin schon alles wurscht ist. Alles ist laut, laut, laut. Alles ist hot, hot, hot. Und wer zum richtigen Zeitpunkt die richtige Mischung daraus schafft, wird Lady Gaga, die erste originäre Pop-Kreatur für die Zehnerjahre – und die einzige Messlatte, wenn Pop-Kreaturen aus den Nullerjahren versuchen, dem etwas entgegen zu setzen.
Christina Aguilera zum Beispiel. Die will jetzt wieder ganz groß draufhauen, sagt sie in Interviews. Sie sei nämlich die einzig wahre Bitch, schwätzt sie weiter. „Bionic“ werde diese Lady ohnehin aus der Welt fegen. Und ihre Kraft dafür, so erzählt sie gerne, komme von innen – gereifte Frau und solche Sachen.
Aber im Wesentlichen geht es ihr ums persönliche Anliegen, auch als Mutter von 30 Jahren noch ständig Sex zu haben („Sex for Breakfast“ heißt der entsprechende Song, einer dieser unvermeidlichen Oh-ich-hab-so-eine-tolle-Stimme-Walgesänge). Oder darum, eingebildeten Ziegen in hässlicher Kleidung vorzusingen, wie wichtig sie für die Welt sind. Sei eine „Prima Donna“ (auch ein Song, zum Tanzen produziert), nutze Männer als Spielzeug, kauf dir was Schönes. Herrgott, als wäre ein neuer Sex & The City-Kinofilm nicht schon Landplage genug, wähnt sich jetzt auch noch Christina Aguilera in postfeministischer Mission.
Ironie der Geschichte dabei ist übrigens auch noch, dass sie für einen Song die Rapperin M.I.A engagiert hat, um nur ja die richtige Dosis hippe Revolte an Bord zu haben. Bloß liefert sich M.I.A im Vorfeld der Veröffentlichung ihres eigenen Albums gerade ein kleines Scharmützel um ihre Glaubwürdigkeit mit der Journalistin Lynn Hirschberg , die sie fürs Sonntagsmagazin der New York Times porträtiert hat. Nur so viel: Es geht dabei um Pommes Frites und Trüffel, und so dumm das klingt, ist die Geschichte auch. Soll heißen: Das wird nichts mehr.
Und so habe ich meine Hoffnung gestern auch noch kurz an die Sängerin Kelis vergeudet. Denn immerhin, Kelis war die mit dem „Milkshake“ und mit „Caught Out There“. Gute Frau, gute Stimme, die rückblickend eigentlich schon immer bessere Lady Gaga, die nie recht zu fassen war. Jetzt gibt es wieder neue Musik von ihr, neun Lieder, zusammengefasst unter dem Albumtitel „Flesh Tone“.
Kelis macht jetzt mal in Electro. Angesagter Style, will die ganze Welt hören, gemma. Dafür wurden die teuersten Produzenten angerufen, die lieferten ein paar Tracks von der Stange, dazu gibts bunte Videos wie das zur ersten Single „A Capella“. Das Stück ist selbstverständlich von David Guetta produziert und funktioniert hiermit garantiert auf jeder Maturareise zwischen Side und Antalya. Aber weil Maturanten keinen Geschmack haben, ist es natürlich trotzdem Mist. Und der Rest? Keine Ahnung, warum ich Kelis einmal so gemocht habe.
Soll heißen: Um dieser Nervensäge Lady Gaga zu zeigen, wie’s wirklich geht, muss wohl erst Madonna wieder ein Album machen. Ich befürchte, es wird so weit kommen.