Elvis Costello. Foto: Screenshot EPK

Irgendwann landen alle in Nashville. Und irgendwann verkommt diese Wurzelsuche zur langweiligen Stilübung. Eine Beweisführung am Beispiel Elvis Costello.

Ich habe großen Respekt vor alten Menschen. Ich schätze es, wenn sie nicht aufhören, etwas weiterzugeben. Ich verehre greise Genies wie Clint Eastwood. Und ich verstehe es natürlich, dass man mit zunehmenden Jahren ein paar der großen Fragen mit besonderer Intensität verhandelt. Woher komme ich? Wofür stehe ich? Wer bin ich? Clint Eastwood zum Beispiel, ein alter Mann, den ich besonders respektiere, destilliert aus diesen drei Fragen mit fast schon beängstigender Regelmäßigkeit einen tollen Film.

Nun besteht die Welt natürlich nicht bloß aus greisen Regisseuren, Künstlern, Philosophen und anderen brillanten Köpfen, sondern aus ziemlich viel Durchschnitt, doch den lasse ich hier jetzt großzügig weg. Wir wollen hier schließlich die Spreu vom Weizen trennen, den Durchschnitt verachten und das Außergewöhnliche loben.

Elvis Costello zum Beispiel hat schon viel Außergewöhnliches geleistet, obwohl er mit 56 noch lange nicht im Alter Eastwoods ist. Von Punk und New Wave kommend hat sich der Engländer irischer Abstammung als großer Versteher der amerikanischen Populärmusik des 20. Jahrhunderts etabliert. Costello kann tolle Songs schreiben, Costello kennt tolle Leute, Costello kann daher tolle Projekte auf die Beine stellen.

Sein aktuelles Album „National Ransom“ zum Beispiel, das dem handelsüblichen Masterplan des Altmännerprojekts entspricht: Man miete sich ein paar Tage in einem Studio in Nashville ein, hole ein paar alte Helden dazu (Leon Russell zum Beispiel oder Buddy Miller), koche ein wenige Ursuppe von allem (also viel Blues und Rock’n’Roll gekreuzt mit Vaudeville und Gershwin) und hoffe, dass der Mann am Produzententisch fürs nötige analoge Knistern sorge.

Der Mann am Produzententisch macht seinen Job selbstverständlich gut, ein T Bone Burnett hat längst einen Ruf als Altmännerproduzent zu verlieren, den letztens war ja sogar Elton John. Ja, auch der hat manchmal genug von Herrenhandtaschen und Kerzerln im Wind und daher mit Burnett und Leon Russell (siehe oben) ebenfalls eine Altmännerplatte veröffentlicht, die sich ertragen lässt („The Union“).

Und vielleicht ist es ja tatsächlich dieses zufällige Zusammentreffen von Elton und Elvis auf Wurzelsuche unter der Anleitung von T Bone Burnett, die mir auf „National Ransom“ ein klein wenig aufstößt. Dieses Musterschüler-Gehabe. Dieses betonte Richtigmachen. Dieses Streben, authentischer als die Originale sein zu wollen. Diese Handwerksgläubigkeit der Musiker.

Nein, „National Ransom“ ist natürlich nicht schlecht. Costello hat eine Handvoll wirklich guter Songs dafür geschrieben, die Versager-Hymne „All These Strangers“ zum Schluss etwa ist echt groß. Aber letztlich bleibt das Album eine bloße Stilübung, bei der alle Beteiligten versuchen, amerikanischer als die amerikanische Volksmusik zu klingen.

Es wäre verfehlt, deswegen den Respekt vor Elvis Costello und seinen Mitstreitern zu verlieren. Es wäre falsch, ihnen wegen ihrer geschmäcklerischen Wurzelsuche Stillstand zu unterstellen. Aber es wäre auch furchtbar langweilig, wenn Costello, Postpunk aus England, schon in Nashville, Tennessee am Ende seiner Reise angelangt wäre. Denn gerade bei ihm könnte ich es nicht ertragen, wenn er mich langweilt.

Stream: Elvis Costello „National Ransom“»

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