Wer den öffentlichen Diskurs vergiftet, muss nicht gleich für einen Amoklauf verantwortlich sein. Der gesellschaftliche Grundkonsens bleibt trotzdem auf der Strecke.
Es hat eine lange Tradition, die Verrohung von Sprache für physische Gewalt verantwortlich zu machen. Leider mit dem schalen Beigeschmack, dass die Argumentation dabei meist von anderen Interessen gesteuert war. Man denke da nur an die Diskussionen um Gangsta Rap. Wer diesen als Kunstform diskreditieren wollte, brauchte sich nur an dessen roher Sprache stoßen, fertig.
Der Erkenntnisgewinn dieser Diskurse ging gegen Null – so wie auch der Erkenntnisgewinn in den ersten zwei Tagen nach dem vergangen Samstag, als der 22-jährige Jared Loughner in einem US-Einkaufszentrum in Tucson (Arizona) sechs Menschen erschoss und 14 weitere verletzte, darunter die demokratische Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords.
Die Diagnose, dass Loughner ein Irrer ist, war fast so schnell gestellt wie die Ursachen seines Wahnsinns ergründet: Er ist deshalb ein Irrer, weil in der Politik zu viele Irre herum laufen und irres Zeug reden, hieß es. Die Kampfrhetorik der Teebeutler hätte ihn zur Tat getrieben, ihr Krieg der Worte sei Taten gewichen. Logische Folge der Hetze, riefen alle den Demokraten Zugewandten, die Sarah Palin und die Tea Party-Bewegung verabscheuen. Politische Hetze, riefen die Teebeutler, da wird eine Tragödie gegen uns instrumentalisiert. Dass in Arizona wie auch in vielen anderen US-Bundesstaaten einfach zu viele Zivilisten mit entsicherten Revolvern herum spazieren – ach, bloß eine Nebensache, die man auch später besprechen kann.
Zieht man jedoch all die politisch motivierte Propaganda ab, die auch auf die Berichterstattung der US-amerikanischen Medien durchschlägt, bleibt trotzdem eine dringend notwendige Diskussion übrig – die Diskussion um die Frage, ob eine Verrohung der Sprache zu roher Gewalt führen kann. Oder umgekehrt gedacht: Ob die Verrohung der Sprache auf eine Gesellschaft schließen lässt, die heute gewaltbereiter ist als noch gestern.
Wobei hier Sprache vor allem als Grundton in öffentlichen, von vielen gehörten Äußerungen zu verstehen ist. In Statements von Politikern und anderen Personen des öffentlichen Lebens, in Massenmedien. Unter diesem Gesichtspunkt lässt sich die Indizienkette auch leicht auf Österreich übertragen, auf „Mehr Mut für Wiener Blut“ und ähnlich Ungustiöses, oder auf „Krimi-Kinder“, hinter Lügengeschichten versteckte Hetze gegen den Islam und viele andere Fundstücke aus Österreichs Boulevard, die vom Watchblog kobuk dokumentiert werden.
Ich behaupte: Diese hör- und sichtbare Verlotterung der Sprache ist Symptom einer gesamtgesellschaftlichen Radikalisierung, die sich schon auch einmal in der Abschiebung von Kindern entladen kann. Und von denen, die die Sprache (und damit die Gesellschaft) verlottern lassen, werden einfach Ursache und Wirkung vertauscht, um daraus perfide Entschuldigungen zu formulieren: Der Boulevard erklärt, er rede eben so, wie sein Publikum es gerne höre. Und die Politik erklärt, die anderen hätten damit angefangen, also müsse man – nicht nur formal, sondern zur Sicherheit auch gleich inhaltlich – mitmachen, um überhaupt noch wahrgenommen zu werden. Kann man nix machen, die Mehrheit hat gesprochen.
Unter diesen Umständen ist es bei aller Antipathie aber auch perfid, Sarah Palin und den Teebeutlern die alleinige Schuld am Amoklauf von Tucson, Arizona in die Schuhe zu schieben. Sie sind nur Teil eines Kreislaufs, der die Gesellschaft radikalisiert. Und dieser Kreislauf ist auf jeden Fall tödlich – für unser Zusammenleben. Fangen wir also lieber an, ganz normal darüber zu reden.