Sicher, auch andere Nationen haben mit Libyen in den vergangenen Jahren Geschäfte gemacht. Sicher, auch andere Nationen haben großzügig darüber hinweg gesehen, dass es sich bei Libyen um eine Diktatur und einen repressiven Polizeistaat handelt, der Menschenrechte mit Füßen tritt. Und sicher, auch andere haben die Bande der Gaddafi-Söhne hofiert und toleriert, obwohl es sich dabei um unangenehme, selbstgefällige und gewaltbereite Zeitgenossen handelt, die allerdings – das muss man zur Verteidigung schon sagen – immer die Taschen voller Geld hatten.
„Libyen ist ein Land, das von der Wirtschaftskrise unbeeinflusst ist. Auch wenn das Land von der Vergangenheit geprägt ist, ist es ein Land mit Zukunft.“
Christoph Leitl, Präsident der Wirtschaftskammer, November 2009.
Ja, wohl kaum eine andere Nation hat sich seit weiland Bruno Kreisky so wohlwollend um gute Kontakte zu Libyen bemüht wie Österreich. Die Clique um Muammar al-Gaddafi war in den vergangenen Jahren die liebste Diktatur des Österreichers. Vielleicht ein bisschen verschroben wegen Gaddafis Faible für Zelt und bunte Gewänder, aber leicht zu handhaben.
Die Geschäfte vor Ort liefen geschmiert, und der Polizeistaat fiel nicht auf, weil er Auffälligkeiten mit der gebotenen Gewalt unterdrückte. Abgesehen davon: Es ist ja auch besser, wenn diese Schönheitsfehler nicht sichtbar sind, denn vor Ort locken Großaufträge, neue Autobahnen müssen her, die Bahn gehört ausgebaut, Infrastruktur gehört modernisiert ohne Ende, und wir haben ja auch was davon: Immerhin bezog Österreich im Jahr 2010 ganze 21 Prozent seines Erdöls aus Libyen. Bei so viel Vorteilen ist verschämtes Wegschauen nie von Nachteil.
„Im Bau-und Infrastrukturbereich gibt es Dank des ambitionierten Investitionsprogramms der libyschen Regierung mit 20 Mio. Euro pro Jahr im Nahebereich Österreichs wohl kaum einen interessanteren Markt. Österreichische Firmen haben die traditionell guten Beziehungen in den letzten Jahren sehr gut zum Auf- und Ausbau ihrer Marktposition nützen können.“
David Bachmann, österreichischer Handelsdelegierter in Libyen, Oktober 2010.
Nun haben aber die vergangenen Tage gezeigt, dass es vielen in der Bevölkerung reichlich egal ist, wie gut sich mit ihrer Herrscher-Clique Geschäfte machen lassen. Auch die darauf fußenden „traditionell guten Beziehungen“ scheren sie wenig. Darum sind sie, beflügelt von den erfolgreichen Protestbewegungen in Tunesien und Ägypten, nach gut 40 Jahren Unterdrückung auf die Straße gegangen. Sie gehen auch nicht weg, wenn sie von Gaddafis Sondereinheiten gezielt unter Beschuss genommen werden. Und sie wissen, wofür sie kämpfen: Für bürgerliche Freiheiten, die ihnen ein bisschen Wohlstand ermöglichen, vielleicht eine Reise, vielleicht ein bisschen Luxus, vielleicht ein Leben, das dem der Durchschnittsbürger in jenem Land ähnelt, mit dem ihre Herrscherclique so gerne Geschäfte macht. Sie kämpfen also für ein bisschen Österreich in Libyen.
„Es freut mich sehr, dass die libyschen Auftraggeber Vertrauen in unser Know-how zeigen und wir mit einem weiteren für die Entwicklung der Region bedeutenden Infrastrukturprojekt beauftragt wurden.“
Hans Peter Haselsteiner, Vorstandsvorsitzender der STRABAG, Dezember 2010.
Die zenrale Frage lautet: Ist es legitim mit verrückten Despoten wie den Gaddafis Geschäfte zu machen? Ist es legitim, sie zu hofieren? Und ist es legitim, sie zu progressiven Figuren zu verklären wie Saif al-Gaddfi, nur weil er eloquent ist, Maßanzug trägt und immer zum richtigen Zeitpunkt nicht da ist?
Es ist zumindest nicht ungesetzlich. Aber ich halte es für moralisch verwerflich – und für vorsätzlich begangen obendrein. Weil Geschäfte, die unter solchen Voraussetzungen zustande kommen, immer nur dann funktionieren, wenn eine Seite bewusst wegschaut.
Der angeblich progressive Saif Al-Gaddafi hat sich gestern in einer Fernsehansprache ans libysche Volk gewandt. Ich kann schon reformieren, richtete er den Demonstranten sinngemäß aus. Aber es kann auch sein, dass ich euch dafür erschießen lassen muss.
Auf gute weitere Zusammenarbeit.