Judith Holofernes von Wir sind Helden wollte nicht mit der „Bild“-Zeitung kooperieren. Resultat: Ein Lehrstück über das Wesen des Boulevard.
Oh diese tollen Hechte von Jung von Matt! Was haben die für eine tolle Kampagne hingelegt. Die Ablehnung kreativ genutzt. Das Gutmensch Holofernes über den Tisch gezogen. Einmal mehr im Dienste des Klienten geritten. Geht doch ins Exil, ihr Wichtigtuer, Klugscheißer und Weltverbesserer. Wir haben gewonnen, wie immer. Gewonnen gegen eine, die ihr Unbehagen über einen Zustand ausgesprochen hat, der von der Resignation lebt und eine Übereinkunft zementiert, die so eigentlich nicht hingenommen gehört.
Diese Übereinkunft besteht im Umgang der Gesellschaft mit Boulevardmedien wie der „Bild“-Zeitung, wie der „Kronen Zeitung“, wie „Österreich“. Und auch wenn diese Übereinkunft jetzt gerade in der Sache Holofernes gegen „Bild“ deutlich wurde, ist sie keine typisch deutsch Angelegenheit, sondern universal gültig.
Nur zur Erklärung: Jung von Matt, Agentur der „Bild“, wollte Wir sind Helden für die Kampagne „Ihre Meinung zu Bild… ?“, bei der schon viele Prominente mitgemacht hatten. Sie bekommen kein Geld dafür, das Honorar wird wohltätigen Zwecken gespendet. Judith Holofernes wollte trotzdem nicht und formulierte ihre Ablehnung in einem offenen Brief auf der Band-Website. Jung von Matt wiederum krallte sich diesen Text und bastelte daraus ein Sujet für die linke Tageszeitung „taz“, eine ausgewiesene Kritikerin der „Bild“-Methoden.
Man darf das Sujet gerne als ausgestreckten Mittelfinger interpretieren, als Triumph und selbstgefälligen Beweis, auf Seiten der Sieger zu stehen. Eine Sicht der Dinge, die sich auch in vielen Nachbetrachtungen spiegelt, egal ob in der deutschen „Welt“ (Sie erscheint wie die „Bild“ bei Axel Springer) oder in der österreichischen „Presse“.
Höhnischer Unterton dabei: Haha, jaja, Aufmerksamkeit ist Aufmerksamkeit, leg dich nicht mit den tollen Hechten vom Boulevard an, denn sie haben ja doch den längeren Atem – und sind die tollen Hechte nicht auch ein bisschen zu beneiden mit ihrer Leck mich-Haltung?
So als wäre der Mechanismus dahinter nicht einmal ein bisschen bedenklich: Entweder du gehst mit uns, oder wir ziehen dich über den Tisch. Entweder du wirst Teil einer Kampagne, oder wir starten eine Kampagne gegen dich. Der große Fisch frisst den kleinen, so ist das da draußen eben.
Nicht, dass sich die zahllosen Erpressungen nach diesem Muster gut dokumentieren ließen. Sie sind einfach da und basieren auf einem unausgesprochenen Konsens, der über Jahrzehnte gewachsen ist. Dieser Konsens verleiht jenen, die für den Boulevard arbeiten, ein Gefühl der Macht, das sie daraus ableiten, doch nur das zu schreiben, was ganz viele Menschen lesen wollen: Also Appelle an niedere Instinkte, Blutopern, xenophoben Unsinn und Auszüge aus Privatangelegenheiten, die eigentlich niemanden etwas angehen.
Das Boulevardmedium dient dabei als Transportkanal und Basis für seine Rechtfertigung gleichermaßen. Lieber weltfremder Gutmensch, nicht wir sind böse, sondern das System. Nicht wir sind gemein, sondern unsere Leser. Und hey, am Ende des Geschäftsjahres wollen wir doch alle postiv bilanzieren, oder? Und hey, Journalismus muss doch auch populär sein, oder?
Noch einmal: Diese von Boulevardmedien wie der „Bild“ mit Politik und Prominenz getroffene Übereinkunft (nachzulesen auch in der Spiegel-Coverstory dieser Woche) ist kein deutsches Phänomen. Es ist universell. Die „Bild“ kann auch „Sun“, „Krone“ oder „Österreich“ heißen, und wer sich die Widerwärtigkeiten der zwei Letztgenannten am Stück geben möchte, dem sei das Medienwatchblog Kobuk empfohlen.
Nur was ist so schwierig daran, sich diesem Mechanismus zu widersetzen? Es gibt schlicht keine Lobby dafür, denn korrumpiert sind nicht nur die, die bereits mit dem Boulevard paktieren, sondern auch jene, die jederzeit dazu bereit wären. Letztere bilden eine schweigende Mehrheit, die fürchtet, dass Boulevardmedien auch die Mehrheit der öffentlichen Meinung abbilden – und gegen die öffentliche Meinung will sich niemand gerne stellen. Das ist unbequem. Und bequem ist besser. Und dass am Ende blanker Zynismus übrig bleibt, ist das Leben in seiner ganzen hässlichen und stinkenden Pracht.
In der Spiegel-Story wird die Geschichte der Grünen-Politikerin Claudia Roth wieder erzählt. Roth war von der „Bild“ vorgeworfen worden, dass sie ihrem Lebensgefährten einträgliche Aufträge der öffentlichen Hand verschafft hätte – eine Lüge, wie mittlerweile in mehreren gerichtlichen Instanzen bestätig wurde. Roth begehrte eine Gegendarstellung und ließ sich auch von den üblichen Vorschlägen der Wiedergutmachung (einer wohlwollenden Homestory zum Beispiel) nicht davon abhalten. Die Gegendarstellung erschien und Roth gilt daher unter Kollegen aus der Politik als besonders mutig, weil sie sich nicht vom Boulevard kleinkriegen hat lassen.
Im Spiegel findet sich auch ein Zitat von Roth. Sie sagt: „Was ist das bitte schön für ein System, wo es schon als mutig gilt, sich gegen eindeutig falsche Tatsachenbehauptungen zu wehren?“
Es ist das oben beschriebene. Und trotzdem bin ich der Meinung, dass der Boulevard nicht so mächtig ist, wie er glaubt. Man muss es ihm nur zugestehen.
Foto: twicepix, Lizenz: CC BY-SA 2.0