Auch auf „Collapse Into Now“ haben sich R.E.M. nicht neu erfunden. Das kann fad sein – oder eine späte Genugtuung.
Langweilig. Da hat natürlich gleich wieder wer gesagt, dass dieses Album gewohnt langweilig ist. Nicht angriffslustig. Nicht aufregend. Nicht neu. Nicht mutig. Nicht sonst irgend etwas, das man als Wichtigtuer bei der Bemängelung von Popmusik gewöhnlich gut findet.
Nun bin ich vielleicht auch ein Wichtigtuer bei der Bemängelung von Popmusik, aber langweilig? R.E.M. langweilig?
Geht nicht, zumindest nicht bei mir. Das muss an meinem Jahrgang liegen, der es mir leider nicht ermöglicht hat, noch irgend etwas Relevantes in der Popgeschichte mitzuerleben (Siehe oben), und daran, dass das Haus meiner Eltern just in dem Jahr verkabelt wurde, als „Losing My Religion“ auf MTV in Heavy Rotation lief.
So traten R.E.M. in mein Leben, selbstverständlich zu spät (siehe oben), denn wie ich dann erfuhr, war das dazugehörige Album „Out Of Time“ ja gar nicht wichtig, sondern kommerzieller Ausverkauf. Und als ich mich für schlau hielt und das davor erschienene „Green“ erwarb, stellte sich erst recht heraus, dass ich junger Mann noch Geschichte lernen müsse. „Murmur“ von 1983. Das war der Stoff. Danach war nichts mehr, nichts, nichts, nichts!
Zugegeben, es war sicher auch meine Schuld, mit neun Jahren anderes als R.E.M. zu hören, aber zu meiner Verteidigung sei gesagt: Die EAV hatte immerhin auch drei Buchstaben, und heute hören Neunjährige Lady Gaga. Ich bin daher sehr stolz auf meine unbeschwerte Kindheit.
Aber zurück zur Langweile, mit der mich R.E.M. auf ihrem neuen Album „Collapse Into Now“ wieder einmal faszinieren. Die ist einfach herrlich. Alles ist hier an seinem Platz: Vernudelte Texte. Schöne Refrains. Lagerfeuergitarren. Tieftrauriges („Walk It Back“ zum Beispiel ist toll!). Sicher, da erklärt sich eine Band mit einer Selbstverständlichkeit ihr eigenes Schaffen zur Tradition, dass man es ihr auch als Bequemlichkeit auslegen könnte.
Doch R.E.M. machen es sich nicht einmal bequem. Die alten Herren sind für einen Teil der Aufnahmen von „Collapse Into Now“ sogar nach Berlin gezogen, um daraus wie einst David Bowie, Iggy Pop oder U2 wieder Relevanz zu schöpfen. Also in jenes Berlin, wo es sich der Fabel nach knöcheltief in Inspiration und Kreativität waten lässt. Leider ist diese Fabel schon längst zu Ende erzählt und R.E.M. haben in Berlin auch nichts anders als ein R.E.M.-Album hingekriegt.
Für Aufregung und Revolution waren sie einfach ein paar Jahre zu spät dran. Wer wie ich diese Band zum völlig falschen Zeitpunkt lieben gelernt hat, findet so einen Moment der späten Genugtuung selbstverständlich sehr sympathisch.