Gestern war ein Tag der Prokrastination mit Mark Zuckerbergs Facebook. Zuerst in Erfahrung bringen, wie man dieses „neue Facebook“ so schnell wie möglich aktiviert, von dem die Artikel im Feedreader am Morgen alle erzählen. Dann ein wenig erschaudern, weil gesammelt und übersichtlich dargestellt doch sehr eindrucksvoll ist, was man Facebook schon so alles über sich erzählt hat. Dann ein bisschen mit den Features spielen. Dann ein bisschen nachfragen, was andere so darüber denken. Und dann die Guardian– und Washington-Post-Apps ausprobieren, die im Rahmen der Facebook-Entwicklerkonferenz ebenfalls präsentiert worden waren.
Sie basieren auf dem erweiterten Open Graph Protocol, das bei Facebook dafür zuständig ist, all das dem digitalen Bekanntenkreis mitzuteilen, was man gerade so macht. Vereinfacht gesagt, machen Guardian und Washington Post nun eine Zeitung innerhalb Facebooks. Wer sie konsumiert, muss dafür das Social Network nicht mehr verlassen, die Nutzungsmuster der User bestimmen das Erscheinungsbild dieser Zeitungen. Es fühlt sich jedenfalls schon beim ersten Ausprobieren sehr natürlich an. Gleichzeitig beschleicht einen der Verdacht, dass scheinbar kleine Änderungen einer Technologie einmal mehr die Medienbranche vor Entscheidungen stellen.
Dafür muss ich kurz ein bisschen ausholen: Vor ein paar Tagen führte ich ein Gespräch mit einem (befreundeten) Medienmanager. Er wirkte gerade etwas abgekämpft. Und er erzählte ein bisschen warum: Als er seinen Job antrat, es ist noch nicht lange her, sah alles noch recht einfach aus. Es gab eine Zeitung (nicht seine Baustelle) – und es gab eine Website (seine Baustelle). Diese Website sollte mit Journalismus Leser anlocken, mit Bannerwerbung und ein paar bezahlten Services für diese Leser sollte Geld verdient werden.
Kernkompetenzen und Kontrollverlust
Doch dann kam mit dem iPhone der Siegeszug der Smartphones samt diverser Betriebssysteme und damit die Selbstverpflichtung, auch diese Plattformen adäquat mit Journalismus zu bespielen (und ein Geschäftsmodell dazu zu erfinden). Dann kam das iPad. Und ständig drängte die Frage, wie man die Kernkompetenz Journalismus nicht aus den Augen verliert, während man sich verpflichtet fühlt, einer Technologie um der anderen hinterher zu hecheln. Kombiniere dazu noch den Kontrollverlust, der sich einstellt, wenn man etwa seine Geschäfte innerhalb der Strukturen von Apples App-Store abwickeln muss, und man darf gerne ein wenig abgekämpft aussehen.
Und jetzt macht der Guardian eine Zeitung auf Facebook. Noch so eine von Technologie getriebene Idee, bei der man dabei sein sollte, um den Zug nicht zu verpassen. Oder um, wie Meg Pickard im Inside The Guardian Blog genauer ausführt, Stammleser auch auf Facebook mit Inhalten zu versorgen und neue Leser anzusprechen, die über die Empfehlungen ihrer Freunde erstmals in Kontakt mit Inhalten des Guardian kommen.
Sollen es andere Zeitung also dem Guardian gleichtun? Auf jeden Fall, doch dafür muss ich noch einmal ein wenig ausholen: Im Buch „What Would Google Do?“ von Jeff Jarvis, einem gerne zu Erklär-mir-die-Zukunft-Medienkongressen geladenen Redner, stehen abgesehen von viel Technologiegläubigkeiten auch viele kluge Sätze. Zwei davon lauten: „Unterliegen Sie nicht dem Irrglauben, Sie können eine Community erschaffen. Diese Gemeinschaft gehört ihnen nicht.“
Niemand kann Communitys aufbauen
Jarvis beruft sich bei diesem Satz auf eine Wortmeldung von Facebooks CEO Mark Zuckerberg bei einer Jahresversammlung des World Economic Forum International Media Council in Davos. Zuckerberg, damals 22, war vom Chef eines internationalen Medienkonzerns gefragt worden, wie man denn eine eigene Community aufbauen könne. „Das können sie nicht“, antwortete Zuckerberg. Communitys, sagte er weiter, tun bereits das, was sie tun möchten. Und wenn man Glück hat, nehmen sie dabei Hilfe an.
An dieser kurzen Erklärung zeigt sich, dass Facebook und Medienunternehmen die gleichen Urängste plagen. Sie müssen ihre User gut behandeln, damit sie ihnen nicht davon laufen. Sie müssen aus Facebooks Sicht durch kluge Technologie die Partner ihrer User bleiben. Und sie müssen sich aus Sicht von Medienunternehmen dort als Partner anbieten, wo User den Großteil ihrer Online-Zeit verbringen. Die Möglichkeiten des neuen Open Graph Protocol sind also kein Angebot der Kategorie „Friss oder stirb“, sondern die Einladung zur partnerschaftlichen Nutzung des Community-Frameworks von Facebook.
Der einzige Unterschied: Der eine Partner hat 800 Millionen Nutzer in seinem Netzwerk, die anderen machen noch immer am liebsten Page Impressions, um Bannerwerbung zu verkaufen. Und nicht zuletzt darum, halte ich es für eine gute Idee, dass der Guardian jetzt eine Zeitung auf Facebook macht.
Dieser Artikel erscheint auch auf dem Debattenportal The European.