Der Mensch und der Affe sind bekanntlich verwandt. Und beide Spezies haben daher auch viel gemeinsam. Zum Beispiel einen angeborenen Sinn für Unfairness, wie die Primatologen Franz de Waals und Sarah Brosnan in einem berühmten Experiment an Kapuzineraffen nachgewiesen haben. Sie warfen dabei Spielmarken in einen Affenkäfig, und immer wenn die Affen eine davon heraus reichten, erhielten sie als Belohnung Gurken oder Weintrauben. Kapuzineraffen, das wussten de Waals und Brosnan, schmecken Weintrauben viel besser als Gurken. Als ein Affe für seine Spielmarke immer die Gurke bekam, und der andere immer die Weintraube, verweigerte der Gurkenaffe plötzlich seine Mitarbeit. Und als der andere dann auch noch ohne Gegenleistung mit Weintrauben belohnt wurde, kam es zur Revolution. Der ungerecht behandelte Affe warf seine Gurken nach den Forschern.

Eine verständliche Reaktion für uns Menschen, denn auch wir sind grundsätzlich zur Fairness geboren. Wir können zwar viele Ungleichheiten ertragen, doch wir ertragen nicht, wenn diese Ungleichheit auf Ungerechtigkeit basiert. Oder anders formuliert: Jeder gönnt einem anderen sein vieles Geld, das er durch nachvollziehbare Leistung verdient hat. Doch wenn – und hier gelangen wir zum eigentlichen Thema dieses Textes – das große untere Ende der Gesellschaft den Eindruck gewinnt, das kleine obere werde völlig grundlos belohnt und bevorzugt, beginnt es an der breiten Basis zu rumoren.

Polizeigewalt. Oder: Haben sie vielleicht doch recht?

Die Menschen werden wütend. Sie werfen zwar vielleicht keine Gurken, aber sie stellen Zelte in den Park. Sie werden von der Polizei vertrieben. Sie kommen wieder. Und wenn dann zum ersten Mal Polizeigewalt angewendet wird, wird immer sichtbarer, wie recht sie mit ihrer Einschätzung haben. Sie, das sind die 99 Prozent, die sich von einem System verarscht fühlen, das das verbleibende eine Prozent deutlich bevorzugt.

Der einzige Nachteil dieser an sich logischen Kausalkette: Man mag die 99 Prozent auch jetzt, wo Gewalt im Spiel ist, noch immer nicht recht ernst nehmen. Sie haben immer noch das Image der unkoordinierten Basisdemokraten, die sich mangels anderer als vager Ziele recht bald selbst zersetzen werden.

So oft wird diese Interpretation erzählt, dass man sie fast schon glauben möchte. Und daher ist es eine große Freude, auf Texte wie jenen des britischen politischen Philosophen John N. Gray zu stoßen, der vor ein paar Tagen im Guardian erschienen ist. Gray ist ein ehemaliger Neoliberaler, der sich im Laufe seines Lebens zum Kritiker der Globalisierung gewandelt hat. Und warum? Mit Recht – und aus gut argumentierten Gründen, wie auch im oben verlinkten Text einmal mehr nachzulesen ist.

Geopolitik statt Systemfrage

Die Illusion vom globalisierten Markt, der sich zum Wohle des Menschen selbst reguliert, so Gray, sei nur deshalb zwei Jahrzehnte lang aufrecht zu erhalten gewesen, weil sie den Menschen nicht einberechnet hatte. Diese Illusion hat so sehr die Strukturen unserer Leben bestimmt, dass sie noch heute politisch unverwundbar erscheint. Tatsache ist aber, dass dieser Tage die nach dem Kalten Krieg installierten Strukturen des entfesselten Weltmarktes zerbrechen. Und es gibt keine Instutiion von globaler Schlagkraft mehr, um die nötigen Reformen anzustoßen. Was bleibt, ist Geopolitik anstatt der Systemfrage.

Und damit bricht Gray eine Lanze für die Occupy-Bewegung, weil sie im Gegensatzzu allen internationalen Politikern die Systemfrage trotzdem stellt. Nicht sie ist eine Ansammlung lebensfremder Utopisten – es sind die Politiker, die ein System aufrecht erhalten, das unter chronischer Dysfunktionalität leidet. Damit, so Gray, „erhöhen unsere Staatsoberhäupter nur die Wahrscheinlichkeit, dass es am Ende zu einem verhängnisvollen Zusammenbruch kommt.“

Noch so ein Grund, warum die Occupy-Bewegung noch lange auf den Straßen bleiben muss.

Dieser Artikel erscheint auch auf dem Debattenportal The European