Luxusprobleme sind zum Beispiel: Viel zu spät hören, was eine von vielen Menschen gleichzeitig besprochene Sängerin eigentlich singt. Viel zu schnell die Entscheidung fällen, dass diese depperte aufgeblasene Oberlippe nur ein deutliches Indiz für Mist sein kann. Viel zu früh den Abgeklärten hervor kehren. Viel zu viel über Popmusik nachdenken anstatt einfach zuzuhören.
Zugegeben, ich mag dieses Luxusproblem manchmal sehr gerne. Und daher habe ich auch ein bisschen Zeit mit einer jungen Dame namens Lana Del Rey verbracht, mit ihren Videos auf Youtube, mit ihren Abbildern, mit ihren Geschichten, die alles bedeuten können oder nichts.
Fest steht vor allem, dass niemand diese Frau einordnen kann: Zum Beispiel destillieren viele einen Vorwurf daraus, dass hinter dem Erfolg ihrer Trauer- und Weltschmerzgesänge zu Bildern aus goldenen Hollywood-Tagen nichts anderes als ein genialer Marketingplan steht und verheddern sich in Authentizitätsdiskussionen. Einer davon habe ich sogar auf der Eigenmarketing-Maschine Facebook gelauscht, was nicht nur eine pikante Note hat, sondern auch eine Überraschung ist, denn hey: Da wird tatsächlich inhaltlich über eine Pop-Künstlerin diskutiert, die in den Charts ganz oben gelandet ist. Da ist eine Frau, die man zumindest verstehen möchte, ehe man sie als Fabrikat aus der Schmiede versierter Produzenten (Eg White und Guy Chambers) abkanzelt und sich wieder richtiger Musik mit Gitarrensolo in der Mitte zuwendet. Da ist was.
Nur was? Ich habe keine Ahnung. Eine junge Frau auf jeden Fall, die berührend schlichte Interviews gibt, die in solchem Gegensatz zur Lebensweisheit zu ihren Songs stehen, dass man gar nicht mehr weiß, wem man weniger Glauben schenken sollte: dem Interview, den Liedern, allem?
Wie gesagt, lauter Luxusprobleme, aber nach den oben verlinkten Videos (und ein paar anderen), führen sie immerhin zum Schluss, dass die Frage nach dem Authentischen müßig ist. Das Authentische ist doch längst tot. Im Rock’n’Roll wahrscheinlich seit Elvis. Im Pop wahrscheinlich seit den Beatles. Und bei mir seit dem ersten richtigen Konzert meines Lebens. Das war 1988 bei Michael Jackson im Stadion in Linz. Ich stand so weit weg von der Bühne, dass ich die Songs noch hörte, wenn sie längst aus waren. Es war in Linz. Es war trotzdem toll.
Und wahrscheinlich hatte schon damals alles den schalen Beigeschmack, bereits einmal da gewesen zu sein. Jacksons große zeit war schon vorbei. Nichts war mehr neu. Selbst HipHop habe ich durch die ironische Überhöhung der Beastie Boys kennen gelernt. Das ist allerdings auch ein Zustand, an den man sich gut gewöhnen kann. Es hilft einem durch jede Authentizitätsdiskussion, wenn man sich bloß eines Frühers besinnen kann, das auch schon langweilig war.
Auch das – ein Luxusproblem. Aber es führt mich zurück zu Lana Del Rey, diesem künstlichen Mädchen aus dem Internet. Ich finde, sie hat in ihrer neuen Inkarnation noch keinen einzigen schlechten Song gesungen. Und in ihrer alten, die – so liest man – aus Marketinggründen aus dem Verkehr gezogen wurde, eigentlich auch nicht. Woher ich das weiß? Weil sich im Zeitalter von Youtube nichts so einfach aus dem Verkehr ziehen lässt. Und das weiß wiederum jeder Marketingstratege.