Es ist eine rhetorische Frage, die Denis Johnson da stellt. Denn er hat sie im Text vorher ja schon beantwortet: Es ist nämlich egal, wo Liberia liegt. Für die Welt, für die Leser, für ihn.
Sein Text stammt aus dem Jahr 1990 und heißt „Bürgerkrieg in der Hölle“. Der Schriftsteller war im Auftrag des „New Yorker“ damals nach Liberia gereist, um vor Ort vom Bürgerkrieg zu berichten. Er traf dort Prince Johnson, der die Hauptstadt Monrovia kontrollierte, während sein Todfeind und Erzrivale Charles Taylor die ländlichen Gebiete beherrschte. Er hörte, wie Prince mit seiner Reggae-Band Soldaten unterhielt. Er sah das Video, in dem Prince dem gestürzten Diktator Samuel K. Doe das Ohr abschnitt. Er fuhr wieder nach Hause. Er schrieb seine Reportage. Und er gab zu, nichts verstanden zu haben.
Es war wohl für ihn persönlich eine ungesunde Konstellation, den ehemaligen Junkie und brillanten Autor Denis Johnson in den Wahnsinn zu schicken. Doch es brachte ein schönes Ergebnis, denn der Schriftsteller reiste in den Jahren danach noch zwei Mal nach Afrika (1992 ein weiteres Mal für den „New Yorker“ nach Liberia zu Charles Taylor, der damals gerade erst am Anfang seiner Karriere als Massenmörder samt Kindergarde stand; und 1995 nach Somalia, kurz bevor dort die UNO entnervt ihre Friedensmission abbrechen musste, weil die Bevölkerung die Blauhelme nicht begrüßte, sondern hasste). Diese drei Reportagen sind vor einigen Monaten im Berliner Tropen-Verlag gesammelt und erstmals in deutscher Übersetzung erschienen. Für die, die es lesen wollen: „In der Hölle. Blicke in den Abgrund der Hölle“ heißt das Buch. Schwere Empfehlung, weil Reportagen, die kein Journalist dieser Welt erzählen kann.
Nun ist Afrika an sich dieser Tage ein recht gern angerissenes Thema. Der Spiegel widmet sich seit zwei Wochen in einer Serie dem „Fluch des Paradieses“. Internationale Pop-Prominenz wird nicht müde, den Kontinent retten zu wollen, ohne dabei zu verraten wovor. André Heller nennt einen esoterischen Zirkus „Afrika! Afrika!“ und könnte dafür wohl bis in alle Ewigkeit Karten verkaufen. Madonna sorgt dafür, dass ich dieser Tage auf Wikipedia nachsah, wie viele Einwohner eigentlich Malawi hat. Und bei Amazon bestellte ich schließlich Denis Johnsons Reportagesammlung. Warum? Weil ich davon gelesen hatte, nur Lobendes im Sinne von „näher dran am Problem und besser geht’s nicht“.
Man muss ja nicht dort gewesen zu sein, um zu erkennen: Afrika ist im Eimer. Man muss nicht sonderlich viel nachdenken, um zu relativieren: Afrika ist natürlich nicht Afrika. Und man muss nur ein bisschen ehrlich sein, um zuzugeben: Keine Ahnung, was es denn ist – aber irgendwas ist faul dort unten.
Was, das kann keiner schlüssig beantworten. Das kann der Spiegel nicht, das kann der Tourist nicht, das kann Denis Johnson nicht. Aber letzterer macht‘s trotzdem am besten. Denn alle anderen betrachten Wahnsinn, Blutrausch und Gemetzel gerne mit schlechtem Gewissen, weil man ja irgendwie als Europäer zumindest einmal indirekt Kolonialmacht war – und damit vielleicht für vieles verantwortlich.
Johnson sieht hin und macht seinen Vorurteilen Luft: Er versteht nicht, dass nichts funktioniert. Er versteht nicht, dass niemand was dabei findet, wenn ein Bus einen Tag Verspätung hat. Er versteht nicht, wie man phlegmatisch in der Sonne brüten kann, anstatt zumindest irgendwas zu tun. Er versteht all das nicht, was westlich sozialisierte Menschen wie ihn zu einem ganzen Strauß an Vorurteilen gegenüber einem ganzen Kontinent hinreißt. Und weil er das nicht versteht, löst er sich auch gleich nicht davon.
Das hilft nicht als Lösung, das hilft nicht bei der Erkenntnis, aber es tut gut. Wenn ein brillanter Beobachter wie Denis Johnson, ein Autor von Gottes Gnaden vor Afrika verzweifelt – warum sollte man sich auch das nicht selbst einmal gönnen. Und deshalb google ich jetzt nicht, wer heute in Liberia regiert. Ich belasse es dabei zu wissen, dass es eine Frau ist, die damals bei der ersten Wahl nach Charles Taylor nicht vom weltberühmte Fußballer George Weah geschlagen worden ist. Ich begnüge mich mit der Erkenntnis, dass der Fußballer damals eigentlich der logische Gewinner gewesen wäre, weil er nichts konnte, aber tolle Versprechungen hatte. Und ich halte es fürs Erste mit Denis Johnson, der bei seinen Beobachtungen aus dem afrikanischen Wahnsinn vor allem eines gelernt hat: Wer hier logisch zu denken beginnt, hat schon verloren.
So schaut’s aus.