Es war schon gestern: Da wies mich jemand entrüstet darauf hin, wie es um die derzeitige Lage der österreichischen Album-Hitparade bestellt sei. Nämlich Elvis (in Form irgendeiner Greatest Hits-Compilation) vor Hansi Hinterseer und einer Schlagertruppe namens Amigos – und erst dahinter die aktuellen Pop-Alben. Der Entrüstete schloss mit einer Frage: Wie konnte so etwas geschehen? Und vor allem: Wie schlecht ist es gar um den Musikgeschmack des Landes bestellt? Zweiteres ist leicht zu beantworten (so wie immer und wurscht ist es auch), und ersteres eigentlich noch leichter.
Bei einem berufsbedingten Zusammentreffen mit dem Großmeister volksnaher Unterhaltung, dem Schlagerkönig Andy Borg – es war in sehr erdigem Ambiente bei einem Weinfest in Burgenland, zweiter Tag, das Publikum geschlossen den aufgewärmten Rausch vom Vortag im Gesicht – ließ dieser einmal folgenden Satz fallen: „Schaun Sie, wir haben ja noch Kassettenpublikum.“
Heute, ziemlich genau ein Jahr nach diesem Satz, enthüllt er erst seine wahre Dimension: In der Subkultur, die Musikanten wie er bedienen – die Volksmusik- und Schlagerseligen, die vor allem in Regionalradios und Mehrzweckhallen an der Peripherie ihre Freude finden – werden in Zeiten fallender Tonträgerverkäufe mittlerweile die Ergebnisse der Pop-Charts entschieden. Das Volksmusik- und Schlagerpublikum ist das letzte unter den Musikkonsumenten, das noch gegen Geld Tonträger (noch einmal: sogar Audiokassetten!) ersteht, anstatt sie aus irgendwelchen Filesharing-Netzwerken zu saugen. Und weil die Musikindustrie noch immer nicht genau weiß, wie sie die neuen Gegebenheiten für sich urbar machen soll, misst sie ihre Erfolge offensichtlich noch immer in verkauften Stück – und damit in Hansi Hinterseer und Amigos.
Das ist irgendwie auch schön: Während sich die Pop-Konsumenten in unzähligen, weit versprengten Lagern niedergelassen haben, wo die Käufer (und davon gibt es wahrlich noch genug) nicht mehr genug Masse erzeugen können, um so etwas wie einen für alle annehmbaren Mainstream zu schaffen, tut dies die jahrzehntelang missachtete Schlager-Subkultur. Das sorgt für Entrüstung und Entsetzen beim Pop-Sozialisierten, wenn er es mit den Maßstäben von vor zehn Jahren bewertet. Und das erlaubt dem Kassettenpublikum endlich eine kleine Genugtuung dafür, dass es nie ernst genommen worden ist.