Multikulti ist tot. Wir sind kein Sozialamt. Wir sind härter als die Polizei erlaubt: Lässt sich so sinnvoll über Integration diskutieren?
Derzeit ist in Deutschland Integrationsdebatte angesagt. Und in dieser Debatte – entfacht von einem Buch Thilo Sarrazins – werden derzeit die Statements immer härter und expliziter. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer hat verkündet: „Wir wollen nicht zum Sozialamt für die ganze Welt werden.“
Die deutsche Kanzlerin hat bekräftigt: „Multikulti ist absolut gescheitert.“ Und viele Menschen haben nun eine Meinung dazu, etwa in Form eines offenen Briefs prominenter deutscher Muslime an den Bundespräsidenten Christian Wulff („Sie sind unser Präsident“), in Diskussionsforen wie drüben bei SPIEGEL Online, oder in Form mahnender Worte wie bei Jürgen Trittin, Fraktionschef der deutschen Grünen, der es schäbig und bloß verstärkend für rechtsextreme Kräfte findet, wenn jemand wie Seehofer solch dumpfes Gedankengut bedient.
So weit, so Integrationsdebatte in ihrer Subdisziplin der Islam-Debatte. Das muss man schon sagen dürfen, heißt es bei den einen. Das sei doch Volksverhetzung, sagen die anderen.
Spannend daran ist vor allem, dass die Diskussion längst über die üblichen Schmarotzer-Vorwürfe hinaus geht, die in früheren Jahren den Umgang mit Zuwanderern geprägt haben. Schmarotzer-Vorwürfe kennen schließlich fast alle Gesellschaften. Franzosen echauffieren sich über Nordafrikaner, US-Amerikaner fühlen sich von Mexikanern bedroht, Indonesier von Chinesen und so weiter und so fort. Nur von Kultur ist in diesen Zusammenhängen nie die Rede, im Gegensatz zur am Islam errichteten Integrationsdebatte.
Und das ist der vielleicht spannendste Punkt an dieser Sache: die Wahl der Worte, die Sprache des Diskurses. Sprache ist mehr als bloßes Medium zur Vermittlung von Botschaften. Sprache ist auch Spiegel dessen, wie eine Gesellschaft mit ihren Problemen umgeht. Kurz: Wie eine Gesellschaft über Integration redet, zeigt auch, wie sie dazu steht.
Gestern Abend ging im Guardian ein Text zu den Vorgängen um Merkels „Multikulti ist gescheitert“-Zitat online. Sehr sachlich, sehr unaufgeregt, kaum wertend. Doch immerhin scheint der Text die Guardian-Community zu interessieren. Fast 24 Stunden nach der Veröffentlichung zählte er noch immer zu den fünf am meisten gelesenen Stücken des Tages.
Interessant an diesem Text ist allerdings nicht seine Popularität, sondern ein Detail. Im dritten Ansatz vor Schluss verwendet die Autorin Kate Connolly einfach das Wort „Integrationsverweigerer“ anstatt eine englische Entsprechung für diesen sperrigen Begriff zu finden. So technisch, wie in Deutschland über Integration gesprochen wird, lässt sich das also nicht einmal übersetzen.
Dabei hat auch Großbritannien seine Multikulturalismus-Debatte. Die jüngste Ausgabe des (rechter Umtriebe gänzlich unverdächtigen) Prospect Magazine etwa fragt auf dem Cover: „Rethinking Race. Has multiculturalism had its day?“ Und in einem auch im Web veröffentlichten Text erklärt Mike Phillis, warum der Multikulturalismus Immigranten eher schadet als hilft („How mulitculturalism fails immigrants“). Mit folgender These: Wer ständig die Unterschiede der Kulturen in den Vordergrund rückt, verbirgt damit, dass es meist um anderes geht: um Arm gegen Reich, Gebildet gegen Ungebildet, und letztlich darum, dass Zweitere in diesen Gegensatzpaaren den sozialen Abstieg in Richtung Ersterer fürchten.
Diese Integrationsdebatte made in UK wird sehr unaufgeregt geführt. Auch sie spricht explizit Dinge an, die ein bisschen nach dem „Man wird das ja wohl noch sagen dürfen“-Gestus von Thilo Sarrazin klingen, aber die Reaktion darauf ist eine andere. Es ist die Reaktion einer deklarierten Einwanderungsgesellschaft, die sich eher davor fürchtet, allzuviel über Kultur zu reden, weil das den gesellschaftlichen Motor, den Willen zum sozialen Aufstieg behindern könnte. Es ist die Reaktion einer Gesellschaft, die aufgrund ihrer Geschichte kein Wort wie „Integrationsverweigerer“ braucht.
Womit wir bei einem gewichtigen Problem der Diskussion in Deutschland (und auch der in Österreich) wären, das auch Helge Fahrnberger in seinem Blog anspricht („Die Integration, um die es geht, hat mit Ausländern nichts zu tun“). In Wahrheit geht es hier ja nicht um „den Islam“ – es geht darum, dass viele sich nicht mehr als Teil einer Gesellschaft und eines Wertesystems sehen. Dass sie in einem Land leben, das es nie richtig geschafft hat, sich als jenes Einwanderungsland zu positionieren, das es de facto ist, verschärft diese Situation noch. Sie fühlen sich allein gelassen und bedroht. Sie haben Kopftuch und Muezzin als Symbole dieser Bedrohung für sich entdeckt. Und sie setzen damit die Solidarität einer Gesellschaft weit mehr unter Druck als jeder, der im Souterrain gen Mekka betet.
Solange gewählte Volksvertreter aber verbal aufrüsten anstatt einfach nur zu argumentieren, solange sie keine Sprache finden, die gesellschaftliche Tatsachen spiegelt, sondern sich verbal als unerbittliche Hardliner im Dienste des Abendlandes gerieren, bleibt so eine Erkenntnis leider nur hübsche Gedankenspielerei. Aber um mit den Sarrazinisten zu sprechen: Man wird ja wohl auch das sagen dürfen.