Kommen Sie mir bitte nicht mit meinem Alter. Ich weiß selbst gut genug, dass ich nichts miterlebt habe – und damit auch keine Ahnung von einer Ölkrise haben kann. Während der ersten von 1973 war ich noch nicht existent. Während der zweiten von 1979 erlebte ich eine Kindheit im Voralpenland, und auch wenn ich viele Erinnerungen daran habe – eine Ölkrise findet sich keine darunter.
Aber muss man als geborener Schreibtischtäter alles miterlebt haben, über das man so nachdenkt? Ich glaube nicht.
Und wenn ich den Nachrichten glaube, die ich lese, während ich diesen Text prokrastiniere, darf ich meine persönliche Ölkrise ohnehin bald miterleben. Ich höre von steigender Nachfrage, die in Zeiten von Spekulation und Unruhen in Nordafrika und dem Nahen Osten die Rohölpreise auf noch nie da gewesene Höchststände treiben könnte. Ich vertiefe mich in Spekulationen, die daraus das frühzeitige Ende der ohnehin zaghaften Konjunktur ablesen.
Und ich stoße schließlich auf eine Nachricht aus dem Mutterland der Ölverbrennung, den USA. Dort werden dieser Tage Autos verkauft wie schon lange nicht mehr. Amerikanische Wägen hauptsächlich, groß, mächtig, verschwenderisch und Dank groß angelegter Rabatt-Aktionen obendrein billiger als all diese Vorzugsschüler-Autos mit niedrigem Spritverbrauch aus Europa.
Nun ist es natürlich Zufall, dass die Strategie von General Motors und anderer Hersteller, die Konkurrenz mit Kampfpreisen aus dem Markt zu drücken, just dann greift, wenn der Treibstoff für all die tollen Wägen teurer wird – doch gerade dieser Zufall hilft, die Branche in all ihrer Realitätsverweigerung und Fahrlässigkeit bloß zu stellen.
Realitätsverweigerung, weil mit oder ohne Ölkrise längst fest steht, dass das Ölzeitalter nicht ewig währen wird – und dass es daher längst an der Zeit ist, von alten Gewohnheiten zu lassen. Und Fahrlässigkeit, weil zu Kampfpreisen verschleuderte Benzinschlucker weiterhin die Illusion am Leben erhalten, dass der von wertvollen Rohstoffen befeuerte Individualverkehr ein Menschenrecht ist.
Dieser Zufall weckt in mir das starke Bedürfnis nach einer dritten Ölkrise. Es soll eine reinigende Ölkrise sein. Ich wünsche mir, dass sie recht lange dauert. Und ich nehme all ihre unangenehmen Nebenwirkungen wie Konjunkturflaute und Teuerung gerne in Kauf, weil eine Schocktherapie wahrscheinlich das einzige ist, was dafür sorgt, dass die zahllosen Strategiepapiere, die bereits für die Zeit nach dem Erdöl formuliert worden sind, endlich wieder auf die Tische gelangen.
Jeder ahnt ja, was da drin steht: Das Erdöl wird immer knapper. Wir haben Peak Oil. Wir fahren zu viel mit dem Auto. Es gibt keinen Weg zurück in unsere Einfamilienhäuser an der Peripherie, wo nichts anderes hinfährt als das eigene Auto. Wir müssen uns einen neuen Lifestyle aneignen.
All diese Wahrheiten sind so unbequem für Wähler oder Kunden, dass noch kein Entscheidungsträger es wagt, sie offen auszusprechen. Doch all diese Wahrheiten werden zum Thema, wenn eine höheren Macht uns dazu zwingt, uns ihnen zu stellen. In diesem Sinne: Her mit der Ölkrise. Ich bin bereit. Und ich habe ohnehin keine Wahl.
Dieser Text erscheint auch im Debattenportal The European.
Foto: F. H. Andrus, Lizenz: CC BY-ND 2.0