Neulich auf Facebook: Ein Bekannter akquiriert einen neuen Kunden, freut sich dementsprechend, man gratuliert, und während man sich zum solidarischen „Gefällt mir“-Klick durch liest, erfährt man ein wenig über die Zielgruppe des Kunden. Sie ist jung und hat die Taschen so dermaßen voller Geld, dass sie es bereitwillig ausgeben möchte. So jung und konsumfreudig wie die Zielgruppen aller Zeitungen, für die man in seinem Leben schon Texte verfasst hat. So wie die meisten Zielgruppen, die ein Unternehmen gerne nach außen kommuniziert. So wie wir alle gerne wären.
Ohne hier jetzt irgendjemanden der bewussten Beschönigung seiner Selbstdefinition zu bezichtigen – es bleibt auffällig, dass in alternden Gesellschaften immer mehr eine Minderheit im Visier von Marketing und Werbung steht. Die anderen, die Alten und Konsumschwachen, gehören nicht mehr zum Markt. Sie sind keine Zielgruppe, sondern Problemfälle, die hinter geschlossenen Türen vom Staat versorgt werden müssen.
Immer weniger gesunde, immer mehr pflegebedürftige Menschen
Nun will es der Lauf der Dinge, dass in den nächsten Jahren immer weniger junge Menschen immer mehr alten Menschen gegenüber stehen – und damit auch immer weniger gesunde Menschen immer mehr siechen und pflegebedürftigen. Krankheiten wie Demenz dringen zusehends in die Mitte der Gesellschaft vor, irgendwann um das Jahr 2035 kommen sogar die Baby-Boomer ins Pflegealter – und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass viele von ihnen dann bereits vergessen haben, wie jung und konsumkräftig sie ihr Leben lang waren.
Daher ist eine der zentralen Forderungen für den adäquaten Umgang mit diesen gesellschaftlichen Veränderungen auch, die Stigmatisierung des Alters aufzuheben. Dieses Stigma basiert unter anderem auf der Erkenntnis, eben keine relevante Zielgruppe mehr zu sein. Alter ist in unserer Kultur nicht mehr vorgesehen. Wer sich ewiger Jugendlichkeit verpflichtet fühlt, um am Markt noch wahrgenommen zu werden, darf einfach nicht alt werden.
Der demografische Wandel birgt doppeltes Konfliktpotenzial
Hinter diesem Mechanismus verbirgt sich doppeltes Konfliktpotenzial: Im persönlichen Umfeld ist es die Diskrepanz zwischen dem Selbst- und dem Fremdbild des biologisch alternden Menschen – gesellschaftspolitisch ist es der Kampf der Generationen um Lebensentwürfe und Arbeit.
Die Jugend etwa fühlt sich ganz zu Recht in vielen Ländern Europas um ihre Zukunft betrogen, was sie etwa in Spanien auf die Straße treibt. Doch auch bei allem Willen zur Veränderung wird sie in Zukunft einer ergrauten Mehrheit gegenüber stehen, die immer länger arbeitet und danach gepflegt werden muss. Um eine solche Gesellschaft zusammen zu halten, greift die Sehnsucht der Protestbewegung nach adäquatem, selbstbestimmtem Leben und Teilnahme am Wohlstand viel zu kurz. Damit eifert sie bloß den egoistisch motivierten Lebensentwürfen ihrer Eltern nach. Und die haben in vielen überalterten Gesellschaften des 21. Jahrhunderts immer weniger Platz – vor allem im Umgang mit einer hilfsbedürftigen Mehrheit, die eigentlich schon längst vom Markt gedrängt sein sollte.
Dieser Text erscheint auch im Debattenportal The European.
Foto: Mike Jones, Lizenz: CC BY 2.0