Mag sein, dass WikiLeaks tot ist. Gut möglich, dass letztendlich Julians Assanges Egomanie und Größenwahn dafür verantwortlich sind, wie mancherorts gemutmaßt. Und gut möglich, dass die Vorgänge um die Whistleblowing-Plattform und deren Hintermänner (gab’s da eigentlich Frauen?) bei historischer Betrachtung irgendwann gerade einmal für eine Fußnote taugen werden: WikiLeaks, im Jahr 2010 oft verwendetes Synonym für Transparenz und Aufklärung, im Jahr 2011 Schauplatz der Nachwehen einer zerbrochenen Männerfreundschaft, danach offline.
Fest steht, dass das Projekt WikiLeaks tatsächlich viel von seiner ursprünglichen Strahlkraft eingebüßt hat. Der letzte Akt dieser Entmystifizierung waren die unredigierten Diplomatendepeschen, die nun Informanten auf aller Welt in Gefahr bringen. Ob nun der Guardian-Journalist David Leigh die Schuld daran trägt, weil er das Passwort zur Datei mit diesen Depeschen in einem Buch veröffentlicht hatte – so die WikiLeaks-Darstellung – oder die Organisation selbst, ist eigentlich nebensächlich. Vielmehr muss man sich fragen, ob nicht von Anfang an zu viel Hoffnung in dieses Projekt projiziert wurde.
WikiLeaks passte einem leicht ins Weltbild
WikiLeaks war die einfachste Lösung, um sich zu Transparenz zu bekennen. Es gab eine Star-Figur dazu. Weil viele der geleakten Dokumente die globalen Aktivitäten der USA in wenig vorteilhaftem Licht zeigten, passte es einem leicht ins Weltbild. Und die Geschichte von der Kulturrevolution des Hackings als Metaebene dazu war auch schön.
Oder klang die Vorstellung etwa nicht toll, dass mit WikiLeaks endlich die absolute Kontrolle der Mächtigen über ihr Herrschaftswissen gebrochen werde? Mehr Demokratie powered by Internet? Davon darf’s gerne ein wenig mehr sein.
Zugegeben, dieser Text ist auch eine Selbstkritik, denn auch ich habe mich von der Person Julian Assange und all dem Brimborium drumherum beeindrucken lassen. Doch die gute Nachricht lautet: Es ist letztendlich egal, ob er ein hoffnungsloser Egomane ist, der über Leichen geht, denn für die Kulturtechnik Transparenz ist es ohnehin besser, wenn keine Selbstdarsteller involviert sind.
Das Vertrauen ist verspielt
Transparenz beruht auf Vertrauen und Verantwortung, wie Jörg Wittkewitz auf telepolis schreibt: „Es geht um das Recht der informationellen Selbstbestimmung. Wenn ein Mensch Informationen übermittelt, muss er die Chance haben, die Art und Weise und den Umfang der anschließenden Verarbeitung dieser Daten zu kontrollieren. Im geringsten Fall sollte jeder erfahren können, wer was von ihm oder ihr weiß, um einen Antrag auf Löschung zu initialisieren.“
Diese Verantwortung hat WikiLeaks nicht übernommen und damit das Vertrauen zerstört, das der Plattform sehr lange entgegen gebracht worden ist. Es lässt sich eben doch nicht über die besseren Algorithmen und Verschlüsselungstechniken allein herstellen, sondern auch über den Menschen. Und der handelt – vor allem, wenn er mit dem Rücken zur Wand steht – eben auch dumm und egoistisch.
Das zeigt, dass immer hinterfragt gehört, in wessen Hände man Informationen legt. Es gibt keine Guten und keine Bösen. Es gibt höchstens mündige Bürger. So lange manche von ihnen weiterhin auf ihr Recht pochen zu erfahren, was Regierungen mit ihrem Geld, ihren Daten und auch sonst so treiben, hat WikiLeaks einen guten Dienst erwiesen. Irgendwer musste das Thema ja in den Mainstream tragen.
Dieser Artikel erscheint auch auf The European.