Natürlich braucht niemand ein Konzeptalbum. Kauft ja keiner mehr ein Album, heißt es. Und natürlich braucht keiner die fiktive Lebensgeschichte eines jungen Afroamerikaners namens Redford Stephens vorgespielt bekommen, in all seiner Tristesse. Hat ja jeder schon in unzähligen Serien und Filmen schon sterben sehen, diese erfolglosen Kleinkriminellen aus Not.
Und überhaupt: Diese Geigen, diese Wichtigtuerei der Jazzer, diese ganze, nun ja, Kunst? Wurden die Werke dieser Band aus Philadelphia nicht früher im Fach „HipHop“ eingestellt? Bei den coolen Jungs?
Nie zu den harten Jungs gehört
Nun, es musste vielleicht tatsächlich zehn Alben lang dauern, ehe endgültig bewiesen war: Die Roots aus Philadelphia haben da nie hin gehört. Sie waren schon immer eine Antithese. Dem Soul verpflichtet und nicht dem Schwanzvergleich. Die Guten in einer Heerschar von selbsternannter Gewaltverbrecher. Die Handwerker in einem Genre, das am gerne Maschinen mit dem Musikmachen betraut. Die Unkonventionellen unter lauter Humorlosen.
Dann nahmen sie auch noch den Job als Studioband in Jimmy Fallons Late Night Show an und spielten mit den meisten der musikalischen Gäste darin. Das war – in Kombination mit Produktionsarbeiten des Band-Oberhauptes Ahmir Guestlove Thompsons – jene Zeit, zu der sich die Roots endgültig eine eigene Liga schufen, in der alles erlaubt war: Soul mit John Legend, Rocken mit Bruce Springsteen, Blödeln mit Justin Timberlake. Und dabei immer der deutliche Hinweis darauf, dass man durchaus Anrecht auf den Titel der besten Liveband der Welt hätte.
Am besten auf Vinyl zu genießen
In diesem Zusammenhang ist auch „undun“ zu hören. Es besteht aus 14 Tracks, die Roots brauchen 38 Minuten dafür, was heißt: Füllmaterial gibt es hier nicht, sondern nur eine kompakte Aneinanderreihung sensationeller Ideen, die das Konzept der rückwärts erzählten Lebensgeschichte des Redford Stephens locker zusammen halten. Es ist erhebend, wie die Band hier unzählige Stile und Schattierungen zu einem homogenen Ganzen zusammenfügt, das keine Highlights kennt, weil es sich im Stück genossen zu einem einzigen Highlight zusammenfügt. Es sind großartige Refrains drinnen, freigeistige Improvisationen, viel Soul, viel HipHop natürlich und am Schluss ein instrumentaler Ausklang in vier Teilen, der auf Sufjan Stevens’ gleichnamigem Song „Redford“ basiert.
Wenn Sozialkritik und Poesie auf atemberaubende Musikalität treffen wie hier bei den Roots, darf daraus getrost jedes Konzeptalbum der Welt geformt werden. Und vielleicht trifft das ja sogar den Zeitgeist. Schließlich handelt es sich beim eingangs formulierten Bonmot, keine Mensch kaufe mehr Alben, um eine kleine Notlüge. Denn diese Woche erreichte nicht nur dieses Album die Welt, sondern auch die Nachricht, dass die Albumverkäufe auf Vinyl erstaunliche Zuwächse erfahren haben. „undun“ ist perfekt für eine weitere Investition dieser Art geeignet.
Album-Stream: The Roots „undun“»
The Roots live: “Tip The Scale” / “The Other Side” (Videos)»