Wenn viele darüber reden, muss es um mehr gehen als um nichts, oder? Und weil wir dieser Tage viel via sozialer Netzwerke miteinander reden, reden sehr schnell sehr viele über etwas, und wie du einmal zu wenig aufpasst, hast du schon was verpasst.
Lana Del Rey war kaum zu verpassen, vor ein paar Tagen wurde dann auch unter den Online-Bekanntschaften darüber diskutiert, lauter kluge Leute, es ging um Authentizität gegen Fabrikat, um Image gegen Glaubwürdigkeit, um Buben gegen Mädchen, und am Ende blieb tendenziell der Eindruck, es handle sich bei diesem Mädchen um eine Popfigur für Buben. Ich mag das jetzt nicht unterschreiben, aber weil ich keine Schlauchbootlippen mag, bin ich wohl befangen.
Jedenfalls schlug sich dieser von mir belauschte Diskurs dann sogar in einer Zeitungskolumne nieder. Da muss es also tatsächlich um mehr gehen als um nichts.
Wozu eigentlich einordnen?
Und zugegeben, ich mag diese drei Lieder, die es bis gestern von Lana Del Rey gab. Sie sind angenehm zu hören und sie erzählen Geschichten, die dann von klugen Mittätern noch mit der richtigen Ästhetik ausgestattet worden sind. Ein Lehrbeispiel in Sachen Popkulturverständnis und viralem Marketing auf der einen Seite, ein schön zu konsumierendes Projekt mit Breitenwirksamkeit auf der anderen. Das mag vielleicht nicht authentisch sein, ein Kunststück ist es allemal – es ist nur noch nicht geklärt, welcher Disziplin es zuzuordnen ist.
Das ändert sich auch mit „Born to die“ nicht, dem den drei Hits aus dem Netz nachgelieferten Album von Lana Del Rey. Im Gegenteil macht es die Einordnung sogar noch viel schwieriger. Denn von den 15 Songs darauf sind genau drei richtig gut – die, die jeder kennt. Der Rest ist entweder gähnend langweilig oder richtiger Mist. X-beliebiges Zeug, das so klingt, als hätte es Britney Spears schon vor ein paar Jahren aus guten Gründen abgelehnt.
Die schöne Bubengeschichte vom todessehnsüchtigen Mädchen, das mit einem den ganzen Sommer durchfeiert und mit ihren Lippen wer weiß was alles macht, ist damit kaputt. Ohne jenes begleitende Bildmaterial, das für „Video Games“ oder „Blue Jeans“ so essenziell war, bleibt nichts mehr übrig.
Das ist einerseits enttäuschend, weil es länger Spaß gemacht hätte, diesem Pop-Konstrukt mit allerlei gewagten Interpretationen hinterher zu steigen. Andererseits zeigt es den endgültigen Bruch zwischen alter und neuer Popwelt, zwischen Klick-Hit für jetzt und Album-Format für die nächsten Monate. Letzteres ist ein Relikt aus Zeiten, in denen die Regel galt, dass einer erfolgreichen Single in absehbarer Zeit ein ausführliches Werk folgen zu habe.
Es hätte noch länger Spaß gemacht
Doch das Album wird seiner Bedeutung schon lange nicht mehr gerecht. Es ist eine Sache für Vinyl-Käufer und Nostalgiker, ein Anachronismus in einer Zeit der Playlisten. Und wenn es dann auch noch in einem so unpassenden Kontext wie bei Lana Del Rey angewendet wird, kann es ein mühselig errichtetes Gesamtkunstwerk zerstören. Kurz nach null Uhr am Erscheinungstag werden einem um fünf Euro eine Handvoll Dateien nach Hause geschickt, denen die Geschichten und die weiteren Puzzleteile vom Friedhof der Popkultur abgehen, die einem auf Youtube so viel Freude machen, und das war’s dann.
Vielleicht wird ja das die Leistung von Lana Del Rey sein: Dass sie Strategen aus dem Musikgeschäft zeigt, wie sehr die Gesetzmäßigkeiten von früher heute fehl am Platz sind. Dass das Rezept für nachhaltige Aufmerksamkeit noch gefunden werden muss. Und dass Qualität halten muss, weil man sonst gnadenlos abgestraft wird. Ein paar weitere bebilderte Songs für alle Video-Sharer da draußen hätten gereicht. Mir ganz sicher. Allein deshalb, weil es eigentlich nicht wichtig ist.