Was ist eigentlich mit den Grünen los? Eine gute Frage, die ich da gestern nicht beantworten konnte. Dabei bin ich doch ein klassischer Grün-Wähler. Oder genauer: Ich war einer.
Ich habe einen Uni-Abschluss. Obwohl ich es längst besser wissen sollte, träume ich mit Mitte dreißig noch immer von einer erfüllten Zukunft. Ich fahre mit dem Rad durch die Stadt. Ich trinke hin und wieder mit großer Freude Milchkaffee. Und ich habe in den vergangenen Jahren fast ausnahmslos grün gewählt, so wie die meisten meiner Freunde und Bekannten, von denen ich solche Details weiß.
Nun haben die Grünen eine Frau an der Spitze, die mit 40 ihr zweites Kind bekommt und daher auf dem Sonntagskurier von gestern den Muttertag am Cover ins Land trage durfte. Diese Frau tut mir ein bisschen leid, weil sie oft kluge Dinge sagt und umsetzen möchte, aber dann in Interviews über ihre Schwangerschaft und ihre Erziehungsmethoden sprechen muss. Da kann Eva Glawischnig tun, was sie will – sie wird nach diesen Gesprächen immer als privilegiertes Mädchen wirken, das keine Ahnung hat, welche Hürden anderen Müttern im richtigen Leben so unterkommen.
Frau Glawischnig passt gut zur Identität, die bekennende Grünwähler in meinem Umfeld so schätzen. Im Kontext eines Lebens zwischen Naschmarkt, Museumsquartier und Selbstverwirklichung wirkt sie einfach richtiger als die Chefs anderer Parteien. Keinen würde es überraschen, sie plötzlich am Nebentisch des Stammlokals sitzen zu sehen.
Grün zu wählen ist über die Jahre zu einem Reflex verkommen. Und der hat dafür gesorgt, dass die Grünen – ich spreche hier von meiner Wiener Wahrnehmung – zu einer Art Wellnesspartei für Milchkaffeetrinker mutiert sind. Man zieht in pittoresk abgewohnte Immigrantengegenden, treibt die Mieten in die Höhe und fragt sich nach ein paar Jahren verwundert, wo denn plötzlich die romantische Mulitkulti-Kulisse hingekommen ist. Man hat genug Zeit und Geld, um sein Leben irgendwie nachhaltiger zu gestalten. Und man hat auf dem Weg dorthin irgendwann das Denken aufgegeben, kreuzt gehorsam bei jeder Wahl die Grünen an und und lässt die Truppe ansonsten in ihrem eigenen Saft schmoren. Praktisch ist obendrein, dass sie wohl nie in einer Regierung sitzen werden – da lässt sich das Kreuzerl zusätzlich mit aufmüpfigem Schwung hinkritzeln.
Mit solchen Wählern kann keine Partei der Welt Profil gewinnen. Mit solchen Wählern können auch spannende Initiativen (so wie diese) nicht umrühren. Und mit solchen Wählern bleibt alles, was es immer war: Wellness für die, die eh gesund sind.
Der Freund, der mir gestern die Frage nach der Befindlichkeit der Grünen gestellt hat, will übrigens zur Europawahl im Juni hingehen. Er weiß auch schon, was er wählt. „Grün. Was soll ich denn sonst tun?“ Das war dann die zweite Frage, die ich ihm nicht beantworten konnte.