Gestern wurde ich mehrmals intolerant und konservativ genannt. Ist das tatsächlich eine so schlechte Kombination? Der Versuch einer Antwort.
Lange Jahre war das Leben einfach. Es gab das Richtige – und es gab das Falsche. Das Richtige waren zum Beispiel liberaler Umgang mit Drogen, keine Diskriminierung von Zuwanderern (damals hießen sie noch Ausländer), gleiche Chancen für alle, politisch korrekte Argumentation bei allen Problemen dieser Welt.
Das Falsche lag so gesehen auf der Hand: alles, was dieser Weltsicht widersprach. Und damit alles, was irgendwie nach rechts oder konservativ klang. Rechts definierte ich mir damals vor allem parteipolitisch, unter konservativ verstand ich meist wertkonservativ. Mit so einer simpel gestrickten Ideologie kam ich leicht durch die Oberstufe, so fand ich mich schnell an der Wiener Uni zurecht, so war ich in gewissen Milieus immer auf der richtigen Seite.
Ich verkehre bis heute in solchen Milieus und ich fühle mich unter Menschen wohl, die so denken – konsequent so zu leben schaffen die meisten allerdings eh nur bis zum Schuleintritt ihres ersten Kindes, wenn sie merken, dass die Volksschule ums Eck verdammt viele Ausländer-Kinder in den Klassen sitzen hat. Doch irgendwann geht einem diese weltfremde Art auch gehörig auf die Nerven, weil die Menschen darüber das Denken verlernt haben.
Sie verklären Multikulturalismus und Integration zu einem romantischen Ideal, das sie damit nähren, dass sie ihr Gemüse beim Türken kaufen. Sie schimpfen auf „die Banken“ und „die Banker“ ohne sich daran zu erinnern, wie bereitwillig sie vor ein paar Jahren für ihre Pensionsvorsorge auf riskante Fonds zurückgriffen, weil sie auch von großen Kuchen naschen wollten. Sie halten sich so lange mit politisch korrekter Formulierung von Argumenten auf, bis sie zerbröseln.
Sie sind – um einen hier schon einmal geäußerten Unmut zu erneuern – zu grün für diese Welt. In Zitaten liest sich dieses Problem dann so wie gestern in der Presse am Sonntag. Dort gab es das absurde Streitgespräch zwischen Heinz Christian Strache und Eva Glawischnig zu lesen. Strache sagte darin:
„Wenn heute in Wien in einer Schulklasse von 30 Kindern nur mehr ein, zwei österreichische Kinder sitzen, dann brauchen wir eine Quote. Mehr als 20 bis 30 Prozent Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache sollte es in einer Klasse nicht geben.“
Und Glawischnig antwortete:
„Es können ja auch Kinder aus Zuwandererfamilien perfekt deutsch sprechen, umgekehrt kann ein Kind österreichischer Familien Sprach- und Lerndefizite haben. Da braucht man nicht zwischen In- und Ausländern differenzieren, wie Sie es in allen Fragen machen.“
Natürlich muss man nicht differenzieren. Doch – so erzählen einem viele Lehrer gerne und bereitwillig – wer es im Sinne der Political Correctness verabsäumt, missachtet auch die Probleme an vielen Schulen Österreichs und opfert deren Lösung dem Festhalten an alten Integrationsidealen. Anders formuliert: Wer vor lauter Toleranz immer jede prekäre Randgruppe schön reden muss, kann einem Haudrauf-Populisten wie Strache nicht Paroli bieten und steht automatisch deppert und weltfremd da. Und wer es innerhalb des Systems der politisch Korrekten trotzdem wagt, eine gegenteilige Meinung zu vertreten, wird flugs als rechter Konservativer gebrandmarkt.
Wobei: Diese Diskussion führte ich erst später am Tag. Ursprünglich galt ich schon in der Früh als arroganter Neo Con, weil ich davon erzählte, dass ich einen Gemüsehändler am Markt meines Vertrauens hasse – aus der Ferne zwar, aber dafür inbrünstig. Der Typ bietet prächtige Bioware feil und verhält sich dabei leider so distanzlos wie alle penetranten Duzer seiner Profession. Er wäscht sich wenig und verzichtet auf Deodorant. Und nach einem gescheiterten Verkaufsgespräch vor ungefähr einem Jahr gehe ich davon aus, dass er sich wegen seines Biogemüses als Mensch höherer Ordnung betrachtet, als Vorreiter eines neuen Lifestyle, urban im Geist und eins mit der Natur im Körper. Mei, ist das ein Idiot …
Ihn nicht zu mögen bedeutete in der vorwurfsvollen Argumentation von heute morgen das gelebte Vorurteil der Generation meiner Eltern. Ihn nicht zu akzeptieren bedeutet den Todesstoß für die Ideale meiner Jugend.
Zugegeben, es war ein sehr banaler Streit. Aber er brachte mich am Ende des Tages auf zwei grundsätzliche Fragen: Soll ich dem Biogemüse-Duzer im Dunste seines Schweißes ein Häuptel Grazer Kraut abkaufen und dabei auch noch seinen jovialen Witz dulden, nur weil er wahrscheinlich auf der richtigen Seite steht? Und soll ich ein Argument Straches schon allein aufgrund des Umstands verteufeln, dass er auf der falschen steht?
Natürlich doppelt nein. Und das hat nicht einmal etwas mit meinem vorgeblichen neuen Leben als arroganter Wertkonservativer zu tun. Ein bisschen Nachdenken reicht da völlig.