Jeff Tweedy von Wilco. Foto: flickr.com/damongreen

Jeff Tweedy von Wilco. Foto: flickr.com/damongreen

Was tun, wenn es sich eine Horde Menschen nicht nehmen lässt, gerade jetzt im Burgenland auf einem Festival vor Kraftwerks Menschmaschine zu erfrieren? Da empfiehlt sich wärmende Musik. Das neue Album von Wilco bietet sich dafür gleich dreifach an.

Erstens: Die Band von Jeff Tweedy macht uramerikanische Musik, verzichtet dabei aber aufs reaktionäre Bewahren von Traditionen.

Gerade ein paar Wochen ist es her, dass alle von Bob Dylan geredet haben. Wie immer, wenn der alte Nörgler ein neues Album auf den Markt wirft, das eigentlich nichts taugt. „Together Through Life“ hieß es. Auf dem Cover ist ein schmusendes Pärchen auf dem Rücksitz eines Auto zu sehen, ein Klimasünder aus vergangenen Zeiten wird es wohl sein, irgendwo auf einem amerikanischen Highway aus vergangenen Zeiten. Allein in diesem Bild schon spiegelten sich die Erwartungen wider, die Dylan dann auch bediente. Das große Bewahren großer Traditionen der amerikanischen Volksmusik. Altherrenblues, der sich in Richtung Chicago-Schule verbeugt. Stinklangweilig – auch, wenn Dylanologen das wohl anders sehen.
Von Dylan zu Wilco gibt es sicher mehrere kluge Wege. Mir fallen nur zwei ein: Der erste – zeithistorische – hat damit zu tun, dass die Band 2008 gemeinsam mit den Fleet Foxes Dylans Song „I Shall Be Released“ aufgenommen hat, um damit Barack Obama im Wahlkampf ihre Ehre zu erweisen. Der zweite – gefühlte – Weg führt über Chicago, die Stadt, aus dessen Blues-Tradition sich auch Dylans Verständnis für die vielleicht wichtigsten zwölf Takte der Welt speist.
Wilco, gegründet 1994 aus den Resten der alternativen Country-Truppe Uncle Tupelo sind aus Chicago und erweisen den Stadt immer wieder ihre Referenz. Mal in Songs, mal auf dem Cover des 2002 veröffentlichten Albums „Yankee Hotel Foxtrot“, das ein Foto von Marina City ziert. Als ich auf flickr nach Wilco-Fotos kramte, fand ich auch ein Foto dieser Zwillingstürme. Es war nicht exakt das Motiv vom Cover, aber sein Titel war bezeichnend: „Wilco Towers“ stand da.
Wilco und Chicago also. Ein Freund von mir hat ein paar Jahre in dieser Stadt gelebt, und auch wenn er schon lange wieder in Österreich zurück ist, hat sie ihn in Wahrheit bis heute nicht losgelassen. So wie Wilco, die ihre Platten längst woanders aufnehmen, aber dann doch wieder zurück kehren.
Aus dem Chicago-Feeling speisen Wilco ihre Musik. Heiße Sommer, bitterkalte Winter, der Lake Michigan bestimmt es so. Die Lage der Stadt ist großartig. Sie macht sich nicht so wichtig wie New York, sie ist nicht so zersiedelt wie Los Angeles – und vor allem: auch wenn der See wie ein Meer wirkt, liegt Chicago doch mittendrin im Land.
Außerdem wurde dort der Blues elektrifiziert, und diese Geschichte kann man bei Wilco immer hören, auch wenn die Struktur ihrer Songs manchmal ganz anders ist als die des Blues. Auf ihrem neuen, schlicht „Wilco“ betitelten Album zeigen sie einmal mehr, dass weniger Traditionsbewusstsein mehr Gespür bedingen kann. Und wo Dylan noch immer die endlose Weite des Landes verhandelt, spürt man bei Wilco schon die sterbenden Vorstädte, das Zusammenrücken im Zentrum. Country für die Innenstadt – dieses Kunststück muss ihnen einmal jemand nachmachen.

Zweitens: Wilco haben keine Angst vor der Gegenwart.

Das neue Album, das in den USA am 30. Juni erschien, geriet schon Anfang Mai in die Filesharing-Netzwerke. Die Band reagierte prompt und streamte es am 13. Mai auf der Band-Website. 100.000 hörten zu, und nachdem Jeff Tweedy später die Filesharer aufforderte, als Gegenleistung für die Musik doch zumindest ein paar Dollar für eine soziale Hilfsorganisation in Chicago zu spenden, soll sogar eine anständige Summe zusammen gekommen sein. In den Blogs wurden Wilco danach für ihren entspannten Umgang mit dem Status Quo der Gegenwart gelobt.

Drittens: Jeff Tweedy singt mit Leslie Feist. Und es gibt ein tolles Cover.

Auf „Wilco“ befindet sich das Lied „You And I“. Es ist ein Duett mit der Kanadierin Leslie Feist, so schön, dass man es zig Male hören kann. Und auch wenn Verpackung heutzutage keinen Menschen mehr interessiert (siehe zweitens), sei hier noch das Cover erwähnt: ein absurdes Foto, das in Wahrheit schon die ganze Bandbreite der elf Songs erklärt. Hier ist es in voller Pracht zu sehen, so wie wenn man auf der Website des Wilco-Labels Nonesuch eine LP vorbestellt – ihr wisst schon Kinder, diese schwarzen Scheiben aus Vinyl, mit denen eure Eltern früher Bob Dylan gehört haben.

wilco_cover