Eigentlich ist nichts davon besonders überraschend, was ein 15-jähriger Brite von den Mediengewohnheiten seiner Freunde berichtet. Aber weil die Medienindustrie gerade verzweifelt ist, gilt dieser Bub als großer Weiser, der sie auf den rechten Weg zurück führen könnte. Sprich: Dorthin, wo die Umsätze der Zukunft liegen.
Der Londoner Schüler Matthew Robson, 15, macht gerade ein Praktikum bei der Bank Morgan Stanley. Von deren Medienanalysten ist er gebeten worden, das Mediennutzungsverhalten seines Freundeskreises zu beschreiben. Keine große Sache, kein statistisches Brimborium, nur ein subjektiver Ausschnitt aus seiner Lebenswelt. Das Resultat – hier als pdf-File bei der Financial Times zum Download – ist laut Edward Hill-Wood, Teamleiter bei Morgan Stanley, „eine der klarsten und anregendsten Einsichten, die wir je gesehen haben.“
Eigentlich verrät Robson nicht viel, was ein anderer, halbwegs wacher Beobachter von Menschen um die 15 auch sehen könnte. Denn Robson sagt ja bloß, wie er und seine Freunde mit Medien umgehen.
- Er kennt keine Teenager, die regelmäßig Zeitung lesen. Wenn sie eine in die Hand nehmen, dann die, die sie gratis in die Hand gedrückt bekommen.
- Die Zusammenfassung zu aktuellen Ereignissen holen sich seine Freunde aus dem Netz.
- Sie schauen nur sehr wenig fern – und wenn, dann gezielt. Die Dauerberieselung ist damit Vergangenheit.
- Sie hören wenig Radio, weil ihnen werbefreies Broadcasting per Netz besser gefällt.
- Sie hassen Werbung im Netz, weil sie meistens penetrant und witzlos daher kommt.
- Sie nutzen soziale Netzwerke wie Facebook, weil sie damit ihren Freundeskreis hegen und pflegen können.
- Sie pfeifen auf Twitter, weil es zu viel Geld kostet, es via Handy zu benutzen und außerdem kein soziales Profil abbildet – und nur das zählt.
- Sie hören wahnsinnig viel Musik, aber weigern sich, dafür zu bezahlen. Das Gros von Robsons Freunden hat noch nie im Leben eine CD gekauft, acht von zehn laden ihre Musik illegal runter.
- Sie besitzen alle ein Mobiltelefon, das alle Stückeln spielt, die ein Handy heute drauf haben muss.
- Und sie geben ihr Geld zum Großteil für Konzerte, Kino und Videogames aus.
Dieser Befund ist für Medienkonzerne alten Zuschnitts natürlich verheerend, doch er kann nicht so überraschend sein, wie es seine derzeitige Rezeption annehmen lässt. Ja, die Medienindustrie befindet sich in einer gravierenden Umbruchsphase. Ja, alles wird anders. Ja, Kaufzeitungen haben bei der nachwachsenden Generation keine Chance. Und ja, das Fernsehen stiftet mit Fixterminen wie den Abendnachrichten oder der Samstagabendshow keine generationenübergreifende Identität mehr. Zu diesen Zeiten sitzen nur mehr die vor den Schirmen, die das ihr Leben lang gelernt haben. Und sie werden mit den Jahren immer weniger.
Die Aufregung – und auch die Relevanz, die dem Papier zugesprochen wird – zeigt daher vor allem eines: Da ist eine Branche hochgradig nervös und weiß nicht mehr, wie sie morgen ihre Umsätze generieren soll. Sie fürchtet sich vor dem nahenden Tipping Point, an dem ihre bisherige Struktur über Nacht zerbröselt. Und sie weiß auch nach Robsons Bericht nicht, was zu tun ist.
Oder wie Leonard Novy auf Carta schreibt:
Vor allem aber ist der Hype um das Papier ein Beleg für den Digital Divide, der sich angesichts sich rasant entwickelnder Technologien zwischen den Generationen auftut: Selbst 35-Jährige Medienprofis verstehen nicht mehr, was 15-Jährige machen.
Das kann stimmen. Ich musste heute ein längeres Stück mit der U-Bahn fahren und habe mir dafür ein anachronistisches Ding gekauft: eine deutsche Qualitätszeitung, unpraktisch im Format, zugeschissen mit endlos viel Text. Ich werde heuer 35 und verstehe daher wohl die Welt nicht mehr. Im Übrigen habe ich bis heute geglaubt, dass nach dem Filesharing nichts mehr Neues kommt. Aber angeblich ist Musik-Streaming das nächste große Ding. Mehr dazu hier im Guardian.
Weiterführende Links
- Matthew Robsons Bericht
- Dessen Rezeption in der Süddeutschen Zeitung, im Guardian, auf ReadWriteWeb und auf Carta.