Die angeblich verödete Generation 20-29 könnte im Netz die Welt verändern. Leider sitzen auch da schon die Älteren an den Hebeln.
Dieser Text hatte seinen Anfang in einem Denkfehler. Er passierte nach der zweiten Lektüre der von Martin Blumenau losgetretenen Diskussion um die verödete Generation der 20-29-Jährigen – nachzulesen etwa in dieser Linksammlung auf fm4. Blumenau hatte am 31. August die im SZ-Magazin publizierten Thesen von Meredith Haaf referiert und um eigene Beobachtungen angereichert. Dabei entstand das triste Bild einer Loser-Generation, die unfähig ist Kritik zu üben, Angst vor ihrer Zukunft hat, sich keine Subkultur erfindet etc. – der Rest steht eh in Blumenaus Blog. Danach meldeten sich einige Gegenstimmen zu Wort, die Diskussion brach los, alles recht spannend.
Nur eines störte mich: Ich wollte Haafs/Blumenaus Thesen nicht unterschreiben. Vielleicht, weil ich wegen meines Alters (bald 35) noch zu nahe an der kritisierten Generation dran bin. Vielleicht, weil sie nicht ganz meiner Erfahrung entsprechen (Vergangenen Samstag war ich etwa auf ein Fest eingeladen, bei dem ein 22. Geburtstag gefeiert wurde, und das altersmäßig dementsprechend gemischte Publikum ließ keinen Rückschluss auf das von Blumenau gezeichnete Bild zu). Und vielleicht auch, weil ich zu sehr an die Kraft des Netzes glaube.
Gut, ich gebe zu: Vor allem der letzte Punkt ist mir ein Anliegen. Ich halte das Netz in all seinen Ausprägungen für einen Gewinn. Es zerschlägt veraltete Strukturen und Muster, ökonomisch (Beispiel Printmedien) wie politisch (Beispiel Obama). Und es bietet einer Generation die Möglichkeit zu einer Artikulation, die sie in alten Strukturen (und auch Mustern zur Revolte) nicht mehr finden kann. Sie lebt nicht nur mit dem Netz, sie lebt im Netz. Und daraus entstehen dann neue Bewegungen wie etwa die Piratenpartei.
So weit, so idealisierte Zukunftsvision. In dieser Zukunft hat der Digital Native das Sagen, den Frank Schirrmacher in einem sehr klugen Essay für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung mit dem Nerd gleichsetzt. Schirrmacher schreibt zum Beispiel:
Was wir erleben, ist der Übertritt einer anderen Intelligenzform in den Bereich der Politik. Ob durchweg zum Guten, das lässt sich heute noch nicht sagen.
[…]
Es ist entscheidend, dass man erkennt, dass die Informationsgesellschaft auf andere Weise, aber mit ähnlicher Dramatik unser Leben revolutioniert, wie es einst die Maschinenparks des industriellen Zeitalters taten. Und dazu brauchen wir Nerds. Sie sind eine politische Kraft, ziehen Nicht-Nerds an sich heran und werden bald auch die anderen Parteien verändern.
Das kann und möchte ich alles unterschreiben. Weil ich daran glaube. Und weil es mir hilft, in Zeiten wie diesen noch an etwas glauben zu können.
Der Nerd, von dem Schirrmacher spricht (und über die von ihm verhandelten Langhaar- und Erdäpfelchips-Klischees sehe ich jetzt einmal hinweg) ist also ein lebendiges Gegenkonzept zum von Blumenau gezeichneten, verödeten 20-29-Jährigen. Er mischt sich nur nicht so ein, wie es ältere Generationen gerne hätten, sondern auf seine Art. Im Netz, wo eben genau der von Blumenau/Haaf kritisierte „Gefällt mir“-Button á la Facebook eine große Wirkung hat.
„Gefällt mir“, sagen immer mehr zu den Piratenparteien in Europa. Und sie sagen eben nicht nur „Gefällt mir“, sondern reflektieren dabei darüber, dass hier nun endlich eine politische Gruppierung entstehen könnte, die sie versteht. Die nicht links ist, und nicht rechts. Die nicht oben ist, und nicht unten. Sondern die alle mitmachen lässt, und sei es nur über die Entscheidung „Gefällt mir“.
Und in Wahrheit kann das „Gefällt mir“ auch kein Vorwurf sein. Jede Demokratie mit ihren politischen Parteien wird in in Intervallen durch Wahlen neu aufgestellt. Und das Kreuz bei einer Partei ist doch für ein Gros der Wähler nichts anderes: Gefällt mir, der Faymann mit seinen Grübchen. Gefällt mir, die Glawischnig mit ihren Kindern. Gefällt mir, der Strache mit seinen Sprüchen. Und der Rest gefällt mit eben nicht. Für den Großteil des Wahlvolks ist das „Gefällt mir“ die einzige politische Entscheidung, die sie in ihrem Leben alle paar Jahre treffen. Klar wünschte ich mir mehr, aber ich rechne nicht damit. Nicht bei Jungen, nicht bei Alten.
Aber ehe ich zu sehr abschweife, muss ich zu meinem Denkfehler zurück kehren. Der Denkfehler rührt daher her, dass ich in meinen idealistischen Gedanken die Generation 20-29 bewusst mit den Digital Natives/Nerds gleichgesetzt habe. Das ist leider großer Blödsinn. Das Netz – ich meine hier vor allem das Social Web – ist heute nämlich längst die Spielwiese der Älteren. Sie sitzen an den Hebeln, sie definieren seine Regeln.
Das ist jetzt kein persönlicher Eindruck, sondern das gibt es auch mit Zahlen (US-amerikanischen allerdings, die man sicher nur bedingt auf Mitteleuropa bzw. Österreich umlegen kann) belegt, die etwa hier auf ReadWriteWeb referiert werden. Es ist die Generation X (also jene Alterskohorte, die heute in den USA zwischen 30 und 43 ist), die die Macht im Netz hat, über Technologien, deren Nutzung, deren Zugang. Diese Generation ist so übermächtig, dass sie jüngere Menschen zwar Technologien entdecken lässt, sie dann aber dort erdrückt. Beispiel Facebook: Mit dem Wachstum des sozialen Netzwerk änderte sich auch dessen Altersstruktur. Wo sich früher die Generation 20-29 tummelte, kommunizieren heute die deutlich Älteren.
Das rettet zumindest in einem Punkt die Ehre der Generation 20-29. Die meisten Leute, die bei Facebook „Gefällt mir“ klicken, sind nämlich schon 30 und darüber. Es sind Leute wie ich, eigentlich alte Säcke, die eh nicht mehr wissen, was jüngere Menschen bewegt. Aber ich erlaube mir, weiter darüber nachzudenken. Schließlich sind meine Leute die Könige hier im Netz.