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Natürlich braucht keiner einen neuen Song von Massive Attack. Aber „Splitting The Atom“ ruft immerhin sehr gute Erinnerungen wach.

Ich rieche zum Beispiel gerade eine Silvesterparty in Oberösterreich. Und ich rieche die geldfressende Nachtspeicher-Heizung im Zimmer einer Wohngemeinschaft in Wien ein paar Jahre später. Aber vor allem sehe ich etwas, wenn ich Massive Attack höre. Mich im Lehnstuhl des Wohnzimmers meiner Eltern sitzend. Seit wir einen neuen Fernseher haben, der es auch empfangen kann, läuft wie immer MTV. Der Sender ist in den Jahren 1991 und 1992 mein Fenster zur Welt. Und wegen eines Videos bin ich gerade vorübergehend von der Rockmusik geheilt worden.

Shara Nelson ist dafür verantwortlich. Sie geht im Fernseher gerade über den West Pico Boulevard in Los Angeles und singt Zeilen wie diese: „You’re the Book that I have opened, and now I’ve got to know much more“. Diese Zeilen münden dann im Sample „Hey, hey hey, hey“, das – wie ich heute weiß – vom Mahavishnu Orchestra ist.

Aber solche Wichtigmacher-Details sind mir damals in Wahrheit völlig wurscht. Ich bin einfach nur hingerissen von diesem Lied, von dieser unerklärlichen Traurigkeit, die es verbreitet, von dieser großartigen Anti-Rockmusik. Und das Video kann ich noch heute auswendig. Ich weiß, wann der Mann ohne Beine von rechts ins Bild fährt. Ich weiß, was passiert, wenn die Kamera gegen Ende des Videos Shara Nelson langsam wieder verlässt – eine rüde Lady möchte Gemüse auf die Straße werfen, wird aber durch die vorbei schreitende Sängerin daran gehindert. Und ich finde das heute noch wunderschön, wie ich soeben beim Wiedersehen gemerkt habe. Hier also für alle, damit ich nicht alleine bin mit meiner Freude:

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Ja, dieses Lied hatte enorme Bedeutung. Über diesen Umweg kam ich dann doch mit HipHop in Berührung, und über Massive Attack und andere Vorlieben erschloss sich damals ein neuer Freundeskreis. Aber vor allem: „Unfinished Sympathy“ und die dazugehörige Platte „Blue Lines“ waren derart modern, dass alles, was danach kam, zwar schön war, aber nicht mehr diese bestechend klare Vision hatte. Schlimmer noch: Die Band entschloss sich irgendwann zur Gitarre, und einmal habe ich während dieser Phase auch ein Konzert gesehen. Es war ein seelenloser Abend, in keiner Sekunde würdig, mit „Blue Lines“ verglichen zu werden.

Irgendwann im nächsten Jahr erscheint wieder einmal ein Album von Massive Attack, das fünfte. Kürzlich ist als Vorbote die Single „Splitting The Atom“ erschienen und die Band ist auch wieder auf Tournee (am 1. November in Graz, am 2. November in Wien). Ich habe sie eher zufällig gehört und sie hat mich auch nicht vom Hocker gerissen. Aber immerhin eines ist geschehen: Ich habe darin Horace Andy gehört, den Jamaikaner mit der Stimme eines Engels. Seit „Blue Lines“ taucht er bei Massive Attack immer wieder auf. Und es dauert üblicherweise nur Sekunden, ehe seine Stimme die Erinnerungsmaschine anwirft. Die hat leider einen großen Nachteil: Es gelingt nicht, mir eine Meinung zum aktuellen Song von Massive Attack zu bilden. Ehe es so weit kommen könnte, schaue ich mir schon wieder alte Videos an. „Splitting The Atom“ gibt es im Player auf der Massive Attack-Website zum Anhören.