Museum des 21. Jahrhunderts. Wenn Musikjournalisten den HipHop ins Grab schreiben, trauern sie in Wahrheit dem Mainstream vergangener Zeiten nach.
Im Online-Magazin 78s behauptet Christoph Daum, dass die Nullerjahre das Jahrzehnt des HipHop waren. Ich glaube ihm das einmal, weil es mit den von ihm ausgewählten zehn Songs gut argumentiert ist und sich die These wohl auch in Zahlen belegen ließe – allein, wenn man etwa nur die Dominanz von Timbaland-Beats in den Charts-Hits der vergangenen Jahre messen würde.
Wie immer haben solche Proklamation einen Nachteil, vor allem wenn’s um Pop geht. Sie bleiben eben nur Behauptungen. Und behaupten kann ich viel. So zum Beispiel der New Yorker-Autor Sasha Frere-Jones. Der behauptete vor ein paar Wochen im New Yorker: „A Genre Ages Out“. Soll heißen: Der HipHop ist seit den Nullerjahren nimmer das, was er einmal war.
Nun weiß Frere-Jones zwar, dass solche Prognosen für die Entwicklung kultureller Ausdrucksformen ungefähr so verlässlich sind wie der hundertjährige Kalender fürs Wetter von morgen, aber auch er hat seine Argumente. Er geht als Purist an die Sache an und widmet sich intensiv Jay-Zs „The Blueprint 3“, das er als Prototyp für sein Hadern mit dem Genre sieht, das er seit Jahrzehnten mit der Begeisterung des glühenden Fans studiert. Jay-Z, so Frere-Jones, zeige, dass der HipHop in den Nullerjahren nur mehr den Rap als signifikantes Element aufweisen kann – der Sound habe sich in viele verschiedene Richtungen entwickelt. Und die erfolgreichsten Beispiele seien von einer „Europäisierung“ getragen. Also weg von den Synkopen hin zu Disco-Derivaten, die in jedem Club funktionieren.
Simon Reynolds hat dieses Thema in seinem Guardian-Musikblog noch einmal aufgegriffen und fragt: „When will hip-hop hurry up and die?“ Er erwähnt darin ein Zitat Timbalands, der schon 2004 zugab, dass ihn der HipHop – und insbesondere auch sein eigenes Schaffen – zusehends langweile. Er gesteht, dass sich für jede Grabesrede Dutzende Gegenbeispiele finden ließen, die die Vitalität des Genres belegen könnten. Und er ist trotzdem der Meinung, dass HipHop in den Nullerjahren seine besten Zeiten hinter sich ließ.
Da hätten wir also drei Meinungen, zu denen sich mit ein bisschen Recherche unzählige weitere fügen ließen, die die Sache mal so und mal so sähen. Das ist aber gar nicht notwendig, weil solche Diskussionen etwas ganz anderes zeigen. Sie gehen von einem Pop-Mainstream aus, der von so etwas wie „dem einen“ HipHop-Sound geprägt ist. Sie schwelgen in den Neunzigerjahren, in denen solche steilen Thesen noch möglich waren. Und sie vergessen, dass in den Nullerjahren im Pop höchstens eines über den Jordan gegangen ist: der Mainstream eben, egal welcher.
Das hat aber nichts mit der Musik zu tun, sondern nur mit radikal veränderten Rezeptionsmustern. Der Mainstream war bloß ein Agreement weniger großer Player in der Musikindustrie. Das ermöglichte früher einmal die Dominanz von Common-Sense-Künstlern wie Prince, die Avantgarde und Erfolg zusammmen führen konnten. Und das geht sich heute, wo Musik (also ein Song oder Künstler) nicht mehr in eine Richtung und zentral kommuniziert wird, nicht mehr aus. Pop ist heute ein unübersichtliches Archipel von Genres, Szenen und Codes, die sich schon allein durch ihre dezentrale Netzwerkstruktur auf keinen gemeinsamen Nenner mehr einigen können. Dazu kommt, dass Charts, die bloß schwindende Verkaufszahlen abbilden, auch nichts mehr bedeuten.
Das ist allerdings kein HipHop-Problem, sondern der Status Quo der Popmusik nach Ablauf der Nullerjahre. So gesehen ist es auch müßig, den Argumenten der oben genannten, verdienstvollen Musikautoren zu widersprechen. Wer unwissentlich aneinander vorbei redet, wird ohnehin nicht zueinander finden.
Also ende ich in Sachen HipHop bloß mit einer persönlichen Einschätzung, aus der jeder machen kann, was er will: Mir ist das Genre auch in den Nullerjahren über weite Strecken fremd geblieben. Sicher, die Großen kenne ich. Ich war von Eminem fasziniert, als er seine Jahre hatte. Ich liebte OutKast. Ich schätze Jay-Z. Ich freundete auch mit diversem Underground-Zeugs an. Aber im Wesentlichen ging’s mir wie Sasha Frere-Jones: Der Abschied von den Wurzeln, den Synkopen war nichts für mich. Ich mag ja auch Disco nur selten.
Und darum bleiben mir aus den Nullerjahren eben nur jene positiv in Erinnerung, die den genau entgegengesetzten Weg zurück zum Blues gingen. Das hier in den vergangenen Wochen bereits mehrmals erwähnte Projekt Blakroc zum Beispiel (mehr hier und hier). Oder natürlich die Roots. Die haben übrigens ihre Instrumentals für die Jimmy Fallon-Show, wo sie als Hausband auftreten, dieser Tage als Gratis-Download zur Verfügung gestellt (Hier geht’s weiter zum entsprechenden Link). Und wo wir schon bei den Roots sind: Mit so etwas wie diesem Jimmy Fallon-Auftritt als Band für die Beastie Boys kann ich noch immer am besten leben. Womit nebenbei auch noch mein HipHop-Höhepunkt der Nullerjahre gekürt wäre.