Die neuen Bücher von Thomas Glavinic & Knud RomerDie erste Rezension zu Thomas Glavinic’ neuem Roman „Das bin doch ich“, die mir in die Hände gekommen ist, stammt von der Literaturwissenschaftlerin Daniela Strigl und steht im österreichischen „Standard“. Ihr Inhalt ist eigentlich unwichtig: Sie ist positiv angetan, hat gelacht, erzählt ein bisschen die Handlung nach, fertig.
Viel aufschlussreicher hingegen sind jedoch die Postings zur Story. Die einen schnauben, dass es sich da ein Nicht-Könner wie Glavinic wohl recht einfach mache, indem über ein paar Tage seines Lebens schreibe, und ärgern sich dann hin zum unausgesprochenen Kernsatz ihrer Wut: Das kann doch jeder! Oder anders formuliert: Das könnte ich doch auch!
Die anderen (im Übrigens die Minderheit) erkennen genau diesen dummen Denkfehler als solchen und stellen sich dagegen – egal, ob sie das Buch nun kennen oder nicht. Und natürlich haben letztere Recht: Wer einem Autor vorwirft, es sei billig, sich selbst als literarische Figur einzusetzen, ein paar illustre Figuren aus dem hiesigen Kulturbetrieb dazu zu gesellen und das niederzuschreiben, der hat keine Ahnung. Denn natürlich belässt es Glavinic nicht bei diesem – in der Literatur übrigens recht üblichen – Kunstgriff und besudelt ein bisschen seine Umgebung. Er verfremdet und verdichtet sie, um seinem paranoiden literarischen Alter Ego vor allem eines zu erlauben: dass es sich ununterbrochen lächerlich macht. Wenn das Buch nebenbei auch umwerfend komisch ist, weil sich diverse Wiener Szene-Figuren vor amerikanischen Star-Schriftstellern deppert aufführen, ist das nur ein hübscher Nebeneffekt in einem tollen Roman. Trotzdem tun sich Leser offensichtlich schwer damit, das literarische Alter Ego von der Person des Autors zu trennen. Wie soll das auch gehen, scheinen sie zu denken. Da schreibt einer über sich, sein Leben, seine Gefühle, sein Ängste, sein Schwächen – und dann will er es nicht gewesen sein?

 

Der Däne Knud Romer könnte von diesem Problem auch sicher viel berichten. Das hat vor allem mit seinem Debütroman „Wer blinzelt, hat Angst vor dem Tod“ zu tun. Der sorgte, als er in Dänemark erschien, für eine rechte Aufregung im Land, weil Romer (von Brotberuf Werber) darin unter anderem freimütig erzählt, wie hässlich ein Teenagerdasein im Dänemark der Sechziger-Jahre sein konnte, wenn die Mutter eine Deutsche ist, beim Bäcker deshalb nur minderes Brot bekommt, und der kleine Knud von Mitschülern prinzipiell „deutsches Schwein“ gerufen wird.Die Nation schrie auf, denn der historisch tief verwurzelte Hass auf die Deutschen bitteschön sei doch in diesem toleranten Land in den Sechzigern schon lange überwunden gewesen.
Als Romer in Interviews danach freimütig zugab, natürlich die eine oder andere Anekdote zwecks Dramaturgie erfunden zu haben, war’s um ihn geschehen: Er hatte den Ruf weg, ein Lügner zu sein, der sich als gebranntes Kind inszenierte, wo eigentlich eine glückliche Jugend war.
Und da war er wieder, der Denkfehler: Dass es sich da einer verdammt einfach gemacht hätte und dass mit so einem Machwerk bitteschön jeder daher kommen könne. Wie brilliant Romers Roman in Wahrheit ist, wurde in den ersten Wochen nach Erscheinen in Dänemark plötzlich völlig nebensächlich, weil er einfach „Ich“ hingeschrieben hatte und dem Ich auch seinen Namen gab. Und das – und somit wären wir wieder bei den emsigen Postern auf Standard-Online in der Sache Glavinic – ist für manche viel zu kompliziert, um es gut zu heißen. Er solle sich doch endlich einmal „ernsten Themen zuwenden und daran scheitern“ schreibt da einer. Kann dem geholfen werden? Wohl nicht. Denn sonst hätte er schon erkannt, wie ernst Glavinic die Dekonstruktion seines Alter Ego ist. Und wie ehrlich sein Buch … Ist da nicht eh die Hälfte davon erfunden, fragen Sie? Keine Ahnung, aber wenn ein Roman kein letztes Geheimnis mehr hat, dann ist er sowieso totlangweilig.