Über die lähmend langweilige Bilanz, die sich bisher zum ausklingenden Jahrzehnt stellen lässt, wurde hier schon einmal lamentiert. Daher ist es Zeit, den Nullerjahren einmal auch ein paar positive Worte zu schenken. Weil natürlich erstens nicht alles dumm war und zweitens die guten Sachen gerne am Schluss kommen. Letzteres passiert nun in Gestalt des kleinen Hollywoodfilms „Juno“, der als Teenagerdrama vermarktet wird und daher Menschen mit sorgsam gehegten Vorurteilen wohl nie zu Gesicht kommt.
Das sollte er aber. Mit „Juno“ scheint ein Film gelungen zu sein, der Generationen vereint. Die Älteren, die im Zeitalter des Zuschauerschwunds in den amerikanischen Kinos zur wichtigsten Zielgruppe der Filmstudios werden. Und die Teenager, die sich nicht nur mit dem Society-Trash von Paris Hilton oder Lindsay Lohan zufrieden geben wollen, sondern gerne Geschichten hören, die wirklich ihre Leben reflektieren. Der Film ist somit die Antithese zur überproportionalen Präsenz von Müll, der nie und nimmer für die Befindlichkeit einer Generation stehen kann.
Es geht im Film auch um das komplexe Jugendproblem der feinen Unterschiede zur Umgebung. Anderssein ist, darüber wurden wohl schon Dutzende Gedanken verloren, dieser Tage eine recht komplexe Angelegenheit. Schließlich sehen sich junge Menschen älteren gegenüber, die das Anderssein ebenfalls nicht aufgegeben haben. Da ist die Methode Lindsay oder Paris natürlich kein gangbarer Weg, weil von einer unerträglichen Banalität getrieben.
Und darum geht „Juno“ woanders hin. Der Film erzählt von einer 16jährigen, die ungewollt schwanger wird und nicht abtreiben will. Nicht aus moralischen oder weltanschaulichen Gründen, sondern weil sie es einfach nicht kann. Die Klinik riecht nach Zahnarzt, eine Schulfreundin erzählt ihr, dass das Ungeborene bereits Fingernägel habe, sie gibt das Kind zur Adoption frei. Ellen Page spielt diese Juno und ist der wohl authentischste Teenager jüngerer Zeitrechnung. Klar liegt sie im Clinch mit den Erwachsenen um sie herum. Doch die sind keinen Deut schlauer und ebenso gefangen in ihren über die Jahre gewachsenen liberalen Prinzipien, die nun durch den größten anzunehmenden Unfall – vulgo: schwangere Tochter – erschüttert werden. Auswege? Gibt’s nicht. Aber wenn Zeit vergeht, lösen sich Dinge oft auch so.
Das Drehbuch zum Film stammt von der dieser Tage auf und ab gefeierten Diablo Cody, die dafür auch einen Oscar bekam. Cody, und das macht sie zu einer so nacherzählenswerten Figur, war früher Stripperin von Beruf und betreibt einen Weblog namens „The Pussy Ranch“, der sehr oft von Sex handelt. Sie tut das alles, weil sie es so will, sagt sie in Interviews immer. Ihre Eltern hätten für sie ein anderes Leben geplant, aber das gefiel ihr nicht. Also suchte sie ihren eigenen Entwurf, der sie nun wiederum zu einer späten Stimme ihrer Generation macht.
Die Lebenswirklichkeit von Cody spiegelt das, womit viele Mädchen auch heute auf Plattformen wie suicidegirls.com oder nerve.com ihren Platz in der Welt finden: im ständigen Verhandeln des persönlichen Umgangs mit Sexualität, Körper, Mitmenschen und Konventionen – oder anders gesagt: im halböffentlichen Erwachsenwerden. Dass nun ein Hollywoodfilm dieses Lebensgefühl auf den Punkt bringt und die Menschheit offensichtlich mehr interessiert als Blockbuster, die um ein Vielfaches des Geldes produziert werden, ist die erste gute Nachricht des Tages.
Die zweite muss auch noch sein: das neue Album der Band The Kills (mehr hier und hier). Das amerikanisch-britische Duo bestehend aus Alison Mosshart und Jamie Hince hat nämlich mit „Midnight Boom“ ein böses Stück Rock’n’Roll in die Welt geworfen. Es klingt so wie Iggy Pops Körper aussah, als er letztens für Madonna „Ray Of Light“ sang: nicht schön, aber dafür auch nicht umzubringen.