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Die Nullerjahre gehen dem Ende zu. Und beim französischen Popduo Air ist die Luft auch draußen. Das hat viel miteinander zu tun.

Wer mit dem Fahrstuhl durch die Nullerjahre reisen müsste, bekäme darin wohl die Musik des französischen Popduos Air zu hören. In jedem Stock – ja ihr Klugscheißer, ich weiß, dass ihr Debütalbum bereits 1998 erschienen ist, aber das ist in diesem Zusammenhang egal – steigen gut gekleidete Menschen zu. Betont unrasierte Männer mit schmalen Krawatten im ersten, sexy Frauen in engen Jeans und mit großen Brillen im zweiten. Und so weiter, und so fort, bis ins Jahr 2009 herauf. Dort steigen dann wieder Männer ein, die aussehen wie Nicolas Godin und Jean-Benoît Dunckel auf dem Cover ihres neuen Albums „Love 2“.

Aber was heißt „aussehen wie“ – sie sind es sicher höchstpersönlich. Pünktlich zur Stelle, wenn es wieder einmal gilt, das Problem des gerade ablaufenden Jahrzehnts auf den Punkt zu bringen. Mit ihrer in analoges Brummen gehüllten Zuckerwatte-Popmusik beschallten sie jede Stehparty, die auf sich hielt und bewiesen, dass nicht die Form den Inhalt definiert, sondern der Stil die Form – und zwar so nachhaltig, dass Inhalt immer sehr voriges Jahrtausend daher kam.

Ja, es ist unschwer zu erkennen: Abgesehen vom ersten Album „Moon Safari“ musste ich mich immer zwingen, Air zu hören. Und als dieses Stück Musik auch langweilig wurde (bald, glaube ich), haben sie mich nur mehr einmal richtig erwischt: mit ihrem Soundtrack zu Sofia Coppolas Film „The Virgin Suicides“. Der war wirklich großartig. Soeben habe ich ihn wieder durchgeklickt, und es braucht tatsächlich nur ein paar Töne, um mich an Farben und Stimmungen aus dem Film zu erinnern. Filmmusik wäre wohl Airs größte Berufung gewesen. Ein gutes Motiv immer wieder penetrant zu variieren – damit hat schon Ennio Morricone Klassiker geschaffen.

Aber ich schweife ab, denn es ging hier ja um Air, die dann doch nicht Filmkomponisten wurden, und um die Nullerjahre. Das Duo war wie geschaffen für all jene, die eine geschmackvolle Begleitung dafür brauchten, dass sie nach dem Sturm der Jugend den Drang nach einer von Sonnenlicht durchfluteten Altbauwohnung verspürten. Zuerst haben wir – ich muss mich wegen meines Alters da der Ordnung halber einschließen – es krachen lassen. Dann wollten wir richtig leben, also in richtigen Anzügen, mit richtigen Frisuren, in richtigen Gegenden.

Das hat nicht immer geklappt, aber wenigstens Air haben immer wieder eine Platte veröffentlicht. So waren manche wenigstens nicht allein mit dem Schicksal, dass Stil das einzige war, was ihnen geblieben ist.

Ja, das ist mindestens so traurig wie die Musik, die Air nun für „Love 2“ ausgetüftelt haben. Und das ist auch mindestens so abgestanden. „Do The Joy“ heißt zum Beispiel der erste Song, und der Titel ist wahrscheinlich ironisch gemeint, aber ich habe das nicht begriffen. Jeder Ton, jedes Surren, jeder Moment, wenn ein verhauchte Frauenstimme einsetzt, ist schon altbekannt. Ist ja gut, dass eine Band ihren Sound gefunden hat, aber wenn deren Sound bloß eine Stilübung bleibt, reicht es irgendwann.

Ich habe beim Durchhören von „Love 2“ jedenfalls die Hoffnung aufgegeben, dass sich unter diesem ganzen klebrigen Wohlklang doch noch ein Abgrund finden lässt, ein winziger Schmutzfleck wenigstens, der andeutet, dass den beiden ihr Schaffen doch nicht so todernst ist, wie sie auf dem Cover aussehen. Aber nichts, gar nichts ist da.

Formulieren wir es der Ehre halber aber trotzdem so: Falscher Tag, falsche Stimmung, falsche Platte. Die Luft ist draußen. Was bleibt, ist allerdings der Verdacht, dass das in Wahrheit schon vor zehn Jahren so war.