Alle hassen BP, weil seit drei Monaten Rohöl in den Golf von Mexiko strömt. Shell versaut das Nigerdelta schon seit 50 Jahren – und keinen juckt’s.
Mit 22. Juni sind es zwei Monate, dass aus der geborstenen Leitung der untergegangen Ölförder-Plattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko unkontrolliert Rohöl ausfließt. In diesen drei Monaten ist viel passiert. Der BP-Krisenmanager Tony Hayward ist vom strahlenden Manager zum Buhmann mutiert und mittlerweile ersetzt worden. Die Konkurrenz hat sich gegen BP gewendet und vollmundig verkündet, mit ihren Sicherheitsstandards hätte so ein Unglück nie geschehen können – was vor allem damit zu tun hat, dass alle Angst vor höheren Sicherheitstandards haben, weil diese zwangsläufig höhere Kosten verursachen. Und vor lauter revidierten Angaben über die tatsächlich Menge des ausströmenden Rohöls weiß man heute nur mehr, dass es morgen mehr sein wird. Laut eines internen BP-Dokuments, das der Kongressabgeordnete Ed Markey veröffentlicht hat, strömen pro Tag 100.000 Barrel Öl ins Meer, also rund 15,9 Millionen Liter.
Per 22. Juni ergäbe das insgesamt rund 6.200.000 Barrel. Das sind allesamt Zahlen, die eindrucksvoll belegen, wie gewaltig hier ein System an einem kleinen Fehler gescheitert ist. Diese Fehler brauchen Sündenböcke wie Tony Hayward und Kollegen, die als Feindbilder drauf und dran sind, den Investment-Banker als verwerflichste Kreatur unserer Zeit zu ersetzen. Banker spielen wenigsten bloß mit Geld, das es nicht gibt. Ölbohrer spielen mit einem Rohstoff, der zwar die Welt antreibt, aber der sie auch nachhaltig kaputt macht. Meistens schleichend, im Falle Deepwater Horizon so, dass es viele Menschen betrifft und manche in ihrer Existenz bedroht.
Bloß sollten diese Erkenntnisse niemanden mehr überraschen.
Dazu nur ein Beispiel, das vielleicht prototypischste für die Verwerfungen unseres Weltbildes, in dem das persönliche Wohlergehen meistens das Leid der anderen bedeutet. Das Beispiel gerät immer so regelmäßig in Vergessenheit wie es von Kritikern der perversen Auswüchse des internationalen Öl-Geschäfts wieder hervor gekehrt wird.
Seit 50 Jahren fördert Shell in Nigeria Öl (siehe hier und hier). Dort fließt der Schampus unter den Rohölen, in seiner Qualität fast unerreicht. Und dort kriegt die Bevölkerung vom Reichtum nicht viel mehr mit, als dass er ihren Lebensraum zerstört. Wegen zahlloser Lecks in den maroden Pipelines des Niger-Deltas ist Ackerland auf Generationen zerstört (Die hier zitierten Schätzungen gehen von rund 11 Millionen Barrel unkontrolliert ausgeflossenen Rohöls über fünf Jahrzehnte aus), die verpesteten Mangroven-Sümpfe im Niger-Delta sind ein Vorgeschmack dessen, was denen an der nordamerikanischen Golfküste droht. Die Lebenserwartung vor Ort ist wegen des Drecks auf 40 Jahre gesunken (Shell fackelt das bei der Förderung auftretende Erdgas einfach ab). Und wenn wieder einmal Kritik wegen dieser skandalösen Vorgänge in einem geopolitisch irrelevanten Teil der Welt aufflammt, führt Shell zweifelhafte Gutachten auf, die dem Konzern die sauberste Arbeit der Welt nachweisen (Mehr dazu hier und hier).
Eh wurscht eigentlich, denn das Land ist hin, die Bevölkerung ist hin – und das Öl, das dort gefördert wird, ist ohnehin für andere bestimmt. Die 606 Quellen im Nigerdelta sorgen für 40 Prozent der US-Importe an Rohöl. Das nur zu Shell, einem Ölkonzern, der neben anderen vor ein paar Tagen vollmundig verkündet hat, bei seinen Förderanlagen könne auch in größten Tiefen nichts geschehen – Shell fördert übrigens nicht nur im Delta, sondern über eine Tochterfirma vor der nigerianischen Küste.
So unterschiedlich die Fälle gelagert sind – das Schicksal der Bevölkerung im Niger-Delta interessiert die Welt einen Dreck, während Barack Obama die historische Chance ergreifen konnte, ein harter Bursche zu sein und BP 20 Milliarden Dollar für einen Treuhandfonds für Geschädigte der Ölpest abzutrotzen – so ähnlich sind die Methoden, wie die Verantwortlichen damit umgehen. So wie im Golf von Mexiko lange Zeit mit fantastisch niedrigen Mengenangaben Krisen-PR betrieben wurde, log sich Shell eben über Jahrzehnte in Nigeria mit dürftigen Gutachten ein reines Gewissen herbei. Und wenn den Hinterbliebenen des 1995 nach einem Schauprozess hingerichteten nigerianischen Schriftstellers Ken Saro-Wiwa – ein umtriebiger Aktivist gegen Shells Praktiken – nach 14 Jahren 15,5 Millionen Dollar überwiesen werden, gilt dies natürlich nicht als nachträgliches Eingeständnis einer Mitschuld, sondern bloß als menschliche Geste.
Das Geschäft, so lernen wir einmal mehr, kommt besonders beim Treibstoff unserer Welt prinzipiell vor der Moral. Die Benzinpreise an Amerikas Tankstellen sind seit dem Untergang von Deepwater Horizon übrigens nicht gestiegen. Und das gilt selbstverständlich als gute Nachricht.