Umsturz in Tunesien? Das war sicher das Internet! Finden zumindest die, die beruflich was mit Internet machen.
Wer von Tunesien reden will, muss zuerst die wichtigen Dinge los werden. Erstens: Gut, dass die Urlauber heim kommen können, und dass ihnen nicht mehr passiert ist, als dass sie im Bus zum Flughafen die Vorhänge zuzogen, um die Feuer nicht sehen zu müssen (gelesen am Sonntag in der wie immer bestens informierten Gratiszeitung Österreich). Zweitens: Schlecht, dass die Machenschaften des Regimes Ben Ali sich erst jetzt rächen, nach gut 23 Jahren im Amt – das entspricht 23 Sommern, in denen keine Feuer sichtbar brannten und daher ungezählte Billigurlauber ihre Devisen in die Taschen der zwei mafiösen Clans stecken konnten, die das Land untereinander aufgeteilt hatten.
Beim Urlaubmachen, das ist ja keine neue Erkenntnis, kommen schöne Landschaft und klares Wasser immer noch vor korrupten Kasten, denen man mit seiner Anwesenheit in die Hände spielt. So eine Diktatur hat ja auch was Entzückendes. Schon am Flughafen stehen wahnwitzig viele Beamte herum, die einem aufwändige Motive in den Reisepass stempeln, um sie danach mehrfach kontrollieren zu können. Und im All Inclusive Club verhalten sich alle Bediensteten trotz höhnischer Bezahlung immer hübsch devot. Sicher, sie könnten auch andere Jobs annehmen oder gar was studieren. Aber hej, eine Diktatur braucht nicht so viele Studierte, denn die stellen höchstens blöde Fragen. Oder sie nutzen das Internet auf eine, nun ja, das Regime zersetzende Art und Weise.
Glaubt man diversen Befunden da draußen, war es ja tatsächlich das Internet, das den Umsturz in Tunesien herbei führte. „Tweeting tyrants out of Tunisia: the global Internet at its best“ titelt etwa Nate Anderson in Ars Technica. In Foreign Policy wird gefragt, ob wir hier gar „The First WikiLeaks Revolution“ erleben. Und auch Robert Misik erklärt in seinem aktuellen Videocast, wie WikiLeaks die tunesische Revolution inspirierte.
Auch ich möchte all diesen Vermutungen gerne glauben, die den Befund nähren, dass Internet-Technologien einmal mehr dem Recht und der Demokratie zum Durchbruch verhelfen. Wobei „Einmal mehr“ hier ein frommer Wunsch bleibt. Die letzten zwei ausgerufenen Twitter-Revolutionen etwa hat die Welt ohne nennenswerte Ergebnisse vorüber gehen sehen – sei es in Moldawien, sei es in Iran.
Zynisch formuliert ist es daher fast verständlich, wenn nun netzaffine Menschen große Hoffnung darauf setzen, dass endlich jene Heilserwartungen bestätigt werden, die sie einst ihre Twitter- und Facebook-Avatare letztlich erfolglos grün färben ließ. Doch Zynismus hat hier keinen Platz, denn Zynismus hatten die Tunesier jahrzehntelang ohnehin mehr als ihnen gut tat.
So zählt für mich dieser Tage nicht, wie Ben Ali verjagt wurde, sondern dass er verjagt wurde. Wenn ein paar der korrupten Autokraten in Nordafrika jetzt nervös werden, weil auch ihnen aufständischer Geist entgegen wehen könnte, freut mich das umso mehr. Und es ärgert mich sogar immer weniger, wenn ein paar Vertreter der Informationselite auf Twitter nicht aufhören können, einen Volksaufstand in einem Land, das ihnen bisher egal war, für ihren Lifestyle zu vereinnahmen. Zuerst Foursquare Checkin, dann Revolution per Retweet – das kann einem schon ans Gemüt gehen. Sogar so, dass dieser Nebenschauplatz der eigentliche Grund für diesen Text gewesen wäre. Aber: Text anders fertig, Zorn trotzdem weg. Alles Gute nach Tunesien.