Nobody expects the #spanishrevolution. Foto via @acampadasol

Sicher, Spanien ist keine Blaupause für Europa. Die Spirale aus sinkenden Löhnen, längeren Arbeitszeiten und dem Wegfall von Sozialleistungen dreht sich dort schneller als anderswo in Europa. Seit dem Ende des Baubooms und mit dem Beginn der Finanzkrise sind rund 20 Prozent der Spanier ohne Arbeit, bei jungen Menschen sind es sogar 40 Prozent. Und nur weil Spanien unter den Euro-Problemstaaten als wirtschaftlich am besten aufgestellt gilt, ist das noch lange keine Grund zur Sorglosigkeit.

Und doch kommt einem vieles von dem, was seit ein paar Tagen von zigtausenden Demonstranten auf den Straßen vieler spanischer Großstädte an Parolen skandiert wird, seltsam vertraut vor. Sie prangern die Konzentration der Macht in den Händen weniger an. Sie verabscheuen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten, die nur zur Gewalt führen. Sie kritisieren eine Weltwirtschaft, die nur der Bereicherung weniger dient. Und sie haben ein Zitat Mahatma Gandhis zu ihrem Leitspruch erkoren: „Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du.“

Der galoppierende Kontrollverlust des Individuums

Vertraut daran ist nicht nur, dass sich diese Erkenntnisse in vielen Punkten mit der Ende der 90er-Jahre formulierten Kritik an der Globalisierung decken, sondern auch die Befindlichkeit, von der sie erzählen. Sie spiegelt den galoppierenden Kontrollverlust des Individuums innerhalb vieler europäischer Demokratien, die in Österreich etwa bereits zu stark ausgeprägten postdemokratischen Strukturen geführt haben.

Am Beispiel Spanien zeigt sich nun, dass es irgendwann genug Menschen reicht, wenn sich zwei große Volksparteien über viele Jahre hinweg in korrupter Einigkeit verbündet haben. Ob es genug Menschen sind, um eine kleine Revolution auszulösen, die zu einer neuen politischen Kraft führt – keine Ahnung. Und ob diese Bewegung dann tatsächlich die die auf den Straßen geforderte moralische Revolution umsetzt – auch keine Ahnung.

Die Demonstranten in Spanien zeigen immerhin lautstark, deutlich und in allen relevanten Kanälen, dass sie nicht gleich wieder weg gehen wollen. Und gleichzeitig erweisen sie sich über mehrere Generationen hinweg als hochpolitisch und motiviert, wieder an Entscheidungsprozessen teilzunehmen.

Weg mit Europas Postdemokratien!

Ein paar glückliche Zufälle noch, und es könnte daraus eine Bewegung entstehen, die demnächst bei Wahlen mitmischt. Die Probleme in ihrem Land sind schließlich ihre Probleme. Sie wollen Arbeit. Sie wollen anständig bezahlt werden. Sie wollen Ausbildung für sich und ihre Kinder. Sie wollen eine Zukunft, die auch ihnen gilt. Sie wollen nicht mehr ohnmächtig dabei zusehen, wie andere ihnen die Chancen darauf rauben und sich dabei die Taschen vollstopfen. Sie wollen die Postdemokratie durch echte Teilnahme an Entscheidungen ersetzen.

Unter diesem Gesichtspunkt wäre Spanien dann doch wieder eine willkommene Blaupause für Resteuropa. Das sind alles nur naive Schwärmereien, sagen Sie? Ach was. Wer hätte zum Beispiel vor einem halben Jahr gedacht, dass die arabische Welt binnen Monaten gen Demokratie kippen könnte? Eben.

Dieser Text erscheint in Kooperation mit dem Debattenportal The European.

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