Natürlich sollte man Ereignisse, die wie die gestrige Entwicklerkonferenz von Apple von vorne bis hinten auf Revolution choreografiert sind, als das betrachten, was sie sind: Show. Doch gleichzeitig steckt vieles in den demnächst angebotenen Diensten von Apple, das näherer Betrachtung bedarf. Allen voran in der iCloud.
Nicht, dass sie auf den ersten Blick innovativ wäre. Vieles von dem, was sie leistet, kann meine Dropbox schon längst. Doch es ist die Strategie dahinter, die besticht, denn daraus lässt sich ein so klares Bekenntnis zu Cloud-Dienstleistungen ablesen wie bisher noch von keinem Konzern dieser Größenordnung. Dieses Bekenntnis äußert sich darin, dass die Cloud so unsichtbar wird, dass sie niemanden mehr abschreckt. Die Apple-Cloud ist – anders als etwa die Dienste von Google – auf Komfort angelegt. Sie wird ein Teil der vielen Apps. Und sie ist ein bequemer Helfer, immer für einen da – egal, auf welchem Endgerät man sich gerade befindet.
Cloud-Computing ist schon seit Jahren ein geflügeltes Wort, ein Klischee schon fast, das Fantasien anregt und Ängste schürt. Fantasien, weil es sexy, praktikabel und nach Goldgrube klingt, die Unmengen an Daten, die wir in unserem Leben nebenher generieren, einfach auszulagern, um immer und überall darauf zugreifen zu können. Und Ängste, weil damit natürlich ein Kontrollverlust einher geht, der viele Fragen aufwirft: Ist es sicher, seine Daten einem privaten Unternehmen anzuvertrauen? Was, wenn sich plötzlich die Allgemeinen Geschäftsbedingungen ändern? Bei wem kann ich mich beschweren, wenn etwas verloren geht oder gestohlen wird?
Kontrollverlust wird mit Komfort aufgewogen
Apple hat diese Ängste gestern klar – und radikal – vom Tisch gewischt. Mit dem schon mehrmals erfolgreichen Konzept, den Kontrollverlust des Konsumenten mit Komfort aufzuwiegen. Es werden mit der iCloud und den neuen Betriebssystemen Lion und iOS5 nicht nur das Betriebssystem unsichtbar gemacht und das lästige Hantieren mit Dateistrukturen aus der Welt geschafft – das Ziel ist, den Computer als Ganzes, mit all seinen Kabeln und Schnittstellen, zum Verschwinden zu bringen.
Was bleibt, ist ein maßgeschneiderter Desktop, der nur mehr drahtlos kommuniziert und nebenbei vor allem mobile Endgeräte wie das iPad aufwertet. Positiv gesehen ist das einmal mehr ein Fortschritt für unsere Kulturtechnik im Umgang mit elektronischen Endgeräten. Negativ gesehen begeben sich nicht nur Apple-User weiter in ein noch nie da gewesenes Abhängigkeitsverhältnis, sondern auch Branchen, die schon jetzt auf Gedeih und Verderb auf Apple als Partner angewiesen scheinen.
Noch eine neue Herausforderung für die Content-Industrie
Zum Beispiel die Content-Industrie, wie Andrew Phelps und Megan Garber auf NiemanJournalismLab ausführen. Als das iPad vor einem guten Jahr auf den Markt kam, erschien der Tablet nur als weiteres Endgerät, das es zu bespielen galt. Es war kein vollwertiger Personal Computer, es war kein vollwertiges Smartphone, aber es war sexy genug, um diverse Heilsfanatsien in großen Verlagen auszulösen, die sich nun doch nicht so schnell einlösen wie erhofft.
Mit iOS5 und der Integration der iCloud sind Apples mobile Endgeräte plötzlich nicht mehr an Personal Computer gekoppelt, sondern funktionieren autark. Das ist nicht nur ein weiterer Schritt in Richtung Siegeszug des mobilen Web, sondern erhöht gleichzeitig den Druck auf Content-Produzenten, endlich Strategien für dieses Geschäft zu finden. Sonst laufen sie in Gefahr, jenes Publikum, das schon lange kein gedrucktes Wort mehr liest und mit dem sie im Browser-Web mehr schlecht als recht leben, auch im mobilen Web als Kunden zu verlieren. Vielleicht nicht zwingend an Apple, aber sicher an andere.